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äußeren Welt auszudrücken, diese Ausdrücke<br />
verwenden, die durch eine nicht ausdenkbare<br />
Abnutzung beschmutzt worden sind, beschmutzt<br />
und verdickt und schwer geworden, bedenklicher,<br />
schwieriger zu handhaben …“ 39 Dieses paradoxe<br />
Problem löst der Dichter nur annäherungsweise,<br />
wie immer, wenn man ein Ideal verwirklichen<br />
will. Das Ziel der reinen Poesie sind „Gedichte,<br />
in denen das Spiel der Bilder die Wirklichkeit des<br />
Themas enthielte,“ 40 und bleibt ein unerreichbarer<br />
Typus, ein idealer Grenzwert. Denn „die Unordnung<br />
und Irrationalität, die man im Wortschatz<br />
vorfindet …, machen die Existenz solcher<br />
Schöpfungen absoluter Poesie unmöglich.“ 41<br />
Auch Sartre kennt den Vergleich mit dem Musiker<br />
und bestätigt, daß der Musiker mit Tönen<br />
arbeitet, der Maler mit Farben und der Dichter<br />
mit Wörtern, mit Wörtern an sich, die wie Objekte<br />
verarbeitet werden:<br />
Tatsächlich hat der Dichter sich entschlossen von der<br />
Sprache als Instrument zurückgezogen; er hat ein für alle<br />
Male die dichterische Haltung gewählt, die die Wörter<br />
als Dinge und nicht als Zeichen betrachtet. Denn die<br />
Doppeldeutigkeit des Zeichens schließt ein, daß man es<br />
nach Belieben wie eine Glasscheibe durchdringen und<br />
daß man durch das Zeichen hindurch das bezeichnete<br />
Ding verfolgen kann, oder daß man den Blick auf seine<br />
Realität richten und es als Objekt betrachten kann. 42<br />
Eben dies will (nach Sartre) die reine Dichtung,<br />
während in der Prosa die Wörter nicht Objekte,<br />
sondern Objekt-Bezeichnungen sind, durch<br />
die der Blick hindurchgeht wie durch Glas. Der<br />
(engagierte: gebundene) Prosa-Schriftsteller bedient<br />
sich der Wörter, er macht die Sprache zum<br />
Werkzeug, um einen Sinn zu transportieren. Die<br />
reine Dichtung kommt beinahe ohne Sinn aus<br />
(nach Hopkins 43 ): „Dichtung ist Rede, die so<br />
gestaltet ist, daß sie den Geist auf dem Wege des<br />
Hörens zur Kontemplation führt, oder Rede, die<br />
um ihrer selbst willen angehört wird und Interesse<br />
weckt außer und neben dem Interesse am Sinn.<br />
Ein gewisser Stoff und ein gewisser Sinn gehören<br />
zwar wesensmäßig zu ihr, aber nur als ein Element,<br />
das nötig ist, die um ihrer selbst willen<br />
betrachtete Form zu tragen und zur Entfaltung zu<br />
bringen.“ Sie darf keine andere Aufgabe haben,<br />
denn Zweckkunst ist keine Dichtung. „Man beginne<br />
mit der Verehrung der Form, und es gibt<br />
kein Geheimnis in der Kunst, das uns verschleiert<br />
bliebe.“ 44<br />
Demnach sind Gedichte keine Ware, denn<br />
„Ware ist, was Gebrauchswert hat.“ 45 Von hier<br />
26<br />
aus blickt Enzensberger auf den beschriebenen<br />
Dualismus:<br />
Das Gedicht ist die Antiware schlechthin: Das war und<br />
ist der gesellschaftliche Sinn aller Theorien der poésie<br />
pure. Mit dieser Forderung verteidigt sie Dichtung überhaupt<br />
und behält recht gegen jedes allzu eilfertige Engagement,<br />
das sie ideologisch zu Markte tragen möchte.<br />
Übrigens leistet der Gegensatz von Elfenbeinturm und<br />
Agitprop der Poesie keine guten Dienste. Dieser Wortwechsel<br />
gleicht dem Leerlauf zweier weißer Mäuse, die<br />
einander in der Tretmühle eines Käfigs jagen. 46<br />
Also sind diese Begriffe leer, können die wahre<br />
Sachlage nicht umgreifen. Ein anderer Ansatz<br />
ist nötig, erscheint aber zunächst nur dunkel,<br />
vieldeutig und geheimnisvoll: der Stil des »Hermetismus«,<br />
die »poesia ermetica« des Italieners<br />
Ungaretti. „Giuseppe Ungaretti … gilt als der<br />
größte der drei italienischen Hermetiker, und die<br />
drei sind die größten italienischen Lyriker dieses<br />
Jahrhunderts: Ungaretti, Eugenio Montale, Salvatore<br />
Quasimodo … Der Name »ermetismo« für<br />
ihre künstlerische Revolution war ursprünglich<br />
abschätzig gemeint. Doch der hochangesehene<br />
Kritiker Carlo Bò griff just diesen Spottnamen<br />
auf und erkämpfte damit den »ermetici«, den<br />
Hermetikern, den Weltruhm.“ 47 Ihren Namen<br />
bekam diese Lyrik von ihrer »Verschlossenheit«,<br />
die zum Kennzeichen der modernen Dichtung<br />
wurde. Auch T.S. Eliot sieht die Schwierigkeit in<br />
der Dunkelheit,<br />
die dadurch verursacht wird, daß der Autor etwas ausließ,<br />
was der Leser zu finden gewohnt ist; so daß der<br />
Leser, ganz verstört, nach etwas Ausschau hält, was gar<br />
nicht da ist, und sich den Kopf zerbricht auf der Suche<br />
nach einer Art von »Sinn«, die es dort gar nicht gibt und<br />
die dort auch gar nicht beabsichtigt ist. 48<br />
Mit Vorsicht wollen wir feststellen, daß Eliot<br />
der Dichtung hier nicht jeden Sinn abspricht,<br />
sondern nur die gewöhnlich von der Sprache (als<br />
Werkzeug) transportierte Aussage über gemeinte<br />
Objekte der Wirklichkeit. Octavio Paz verweist<br />
uns wieder auf die Wörter an sich: „Der Wert der<br />
Wörter beruht auf dem Sinn, den sie verbergen.“<br />
49 Demnach schafft der Dichter im sprachlichen<br />
Kunstwerk eine Konstellation von Wörtern,<br />
die an sich durchaus schon einen verborgenen<br />
Sinn haben und diesen gerade durch ihre Zusammenstellung<br />
dem geübten Leser offenbaren. Es<br />
handelt sich nicht um einen Sinn, der vom Dichter<br />
dem Wort beigelegt wurde, sondern um einen<br />
Sinn, den das Wort von Anfang an hatte und bis<br />
heute verborgen enthält. Wenn nicht wenigstens<br />
die Wörter einen verborgenen Sinn hätten, würde