Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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98 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Die mitlebende Kunstfigur, <strong>di</strong>e imaginäre Kathleen fordert sie auf,<br />
noch schneller, noch wilder zu leben und zu schreiben:<br />
»Schreib <strong>di</strong>ch in ein Schreiben, das <strong>di</strong>r keine Zeit mehr läßt, das <strong>di</strong>r<br />
fast <strong>di</strong>e Luft nimmt […] schreib <strong>di</strong>ch mit, schreib, was du kannst,<br />
schreib ums Leben.« (Die Kr., S. 46)<br />
Durch das stän<strong>di</strong>ge Beobachten und Beschreiben und Reflektieren über<br />
<strong>di</strong>e eigene Befindlichkeit semiotisiert <strong>di</strong>e Protagonistin <strong>di</strong>ese Kränkung, indem<br />
sie Symptome in Worte verwandelt und umgekehrt:<br />
»Am späten Nachmittag, nach siebzehn Uhr, darf ich ins Ärztezimmer<br />
an <strong>di</strong>e Schreibmaschine. [...] Ich schreibe: ich bin schwach. Habe<br />
ich ein paar Zeilen geschrieben, spüre ich den Schweiß. [...] Die Verunsicherungen,<br />
das Ungelöste, alles Bedrückende habe ich, so scheint<br />
es, mitgenommen, aber wo ist das, was mich in meiner Stärke<br />
ausmacht, meine ganze Person?« (Die Kr., S. 139 f.)<br />
Für ihre kranke Seele, als Heilmittel für den Mangel an Beherrschung<br />
soll sie selbst eine (zumindest) provisorische Lösung finden, indem sie <strong>di</strong>e<br />
eigene Geschichte aufschreibt und <strong>di</strong>e der toten Frau, <strong>di</strong>e zusammen mit<br />
ihr auf dem Lande gelebt hat, indem sie keinen Zusammenhang entdeckt,<br />
indem sie sich begnügt, kleine Fortschritte mit dem Maler zusammen zu<br />
machen:<br />
»Was ist mit deiner Geschichte, fragt er und sieht mich kurz von der<br />
Seite an. Wirst du sie fertigschreiben? – Ich weiß nicht, sage ich. Ich<br />
kann mir nicht vorstellen, wie das je wieder funktionieren soll.« (Die<br />
Kr., S. 195)<br />
Sinn suchen und Sinn finden kann man/frau nur, indem gelebt wird,<br />
solange gelebt wird: so werden wir daran erinnert, dass Werden über Sein<br />
immer wieder siegt. Als einzige Möglichkeit des Überlebens begegnet dem<br />
Leser/der Leserin der Satz von Kathleen:<br />
» ›Alles im Leben, was wir wirklich annehmen, verwandelt sich‹, sagtest<br />
du.« (Die Kr., S. 144)<br />
Nur beim Schreiben gelingt es manchmal, ein beruhigendes Gefühl der<br />
Vollendung zu empfinden:<br />
»Es gibt kein Gefühl, das sich mit der Freude, eine Erzählung geschrieben<br />
und beendet zu haben, vergleichen ließe, sagt sie dann. Ich<br />
konnte nicht einschlafen, aber es machte mir nichts aus. Da war sie,<br />
neu und komplett.« (Die Kr., S. 197)