Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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258 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Was Luce Irigaray „le parler femme“ nennt, wird innerhalb des Denkens<br />
über <strong>di</strong>e Geschlechter<strong>di</strong>fferenz als philosophische Voraussetzung definiert,<br />
<strong>di</strong>e den Gründungsakt der weiblichen Subjektivität darstellen<br />
würde als Sich-Wenden-an: um das „weibliche“ Wort endlich zu erringen, ist<br />
es philosophisch und existentiell notwen<strong>di</strong>g, dass Frauen zu sich selbst zurückkehren<br />
können, um einen eigenen Ort einzurichten und sich selbst<br />
eine vorläufige Distanz zu gewinnen, <strong>di</strong>e das Sich-Sagen ermöglicht. 6<br />
Die Urgenz, eine Poetik zu entwerfen, eine neue Schreibweise zu finden,<br />
entspricht also – wie schon im Abschnitt über <strong>di</strong>e Autorin Marlene<br />
Streeruwitz betont – dem von ihr ausgedrückten Bedürfnis, den Abgrund<br />
des Unsagbaren zu überspringen, der Gefahr des Schweigens zu entfliehen,<br />
<strong>di</strong>e Drohung der Abwesenheit in der Sprache durch Zersplitterung<br />
der Sprache selbst zu bannen, um einen neuen, einen anderen Glanz zu retten. 7<br />
Was aber <strong>di</strong>e Schrift in primis betrifft, so hat Julia Kristeva sehr produktiv<br />
darauf hingewiesen, dass <strong>di</strong>e sexuelle Differenzierung im Prozess<br />
der Sinngebung stattfindet: Dieser Prozess schließt das Semiotische ein,<br />
das den Schauplatz der vorsymbolischen Funktionen im Subjekt freilegt,<br />
d.h. <strong>di</strong>e Artikulation der Triebe, des Körperlichen ermöglicht. Das Semiotische<br />
geht der symbolischen Ordnung voran und fließt in sie ein:<br />
»Die körperliche Modalität artikuliert sich in der Sprache, <strong>di</strong>e damit<br />
zum Ort wird, an dem sich Soziales (<strong>di</strong>e Sprache ist <strong>di</strong>e soziale<br />
Norm) und Asoziales (<strong>di</strong>e Bewegung der Triebe) kreuzen.« 8<br />
So sind zum Beispiel <strong>di</strong>e Sehnsucht in den Romanen von Marlene<br />
Streeruwitz oder das „Kichern“ der Berta Schrei in Marianne Fritz’ Erzählung<br />
zur gleichen Zeit als sprachliche Formulierung des Triebhaften,<br />
des Körperlichen zu verstehen und als Antizipation einer „neuen“ symbolischen<br />
Welt: von der Körpersprache (<strong>di</strong>e Symptome dafür) zur verbalen<br />
Sprache, zur sprachlichen Beschreibung <strong>di</strong>eser Symptome als Metonymie<br />
(Lust für Lebenslust, Kichern für Unsicherheit und Schweigen)<br />
und Metapher: das Warten als eine tausendjährige Einstellung des Subjekts,<br />
das sein Glück ins Jenseits verschiebt, statt Sinn im Diesseits zu<br />
schöpfen, wie <strong>di</strong>e Autorin Marlene Streeruwitz selbst <strong>di</strong>agnostiziert hat:<br />
6 Vgl. den schon zitierten Aufsatz von Wanda Tommasi im Band Der Mensch ist zwei.<br />
Das Denken der Geschlechter<strong>di</strong>fferenz (1993), S. 122.<br />
7 Marlene Streeruwitz, Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen., S. 55.<br />
8 So wird <strong>di</strong>e Position von Julia Kristeva von Hedwig Appelt erklärt im zitierten Band<br />
Die leibhaftige Literatur. Das Phantasma und <strong>di</strong>e Präsenz der Frau in der Schrift (1989), S. 241 ff.