Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 245<br />
4.4. »Dann konnte er sie herzlos nennen. Eifersüchtig. Besitzgierig.« Oder:<br />
Wie kann man/frau sich vom Warten befreien? Am Beispiel des Romans<br />
Nachwelt.<br />
Das hilflose Warten als existentielle Grundsituation taucht im Roman<br />
Nachwelt. Ein Reisebericht (1999) wieder auf, um endlich bewältigt zu werden.<br />
Wenn Lisa auf einen Brief wartet, der ihr das Glück und den richtigen<br />
Partner bringen soll, sehnt Helene sich sehr konkret, sehr leidenschaftlich<br />
nach dem Freund Henryk: <strong>di</strong>e Körpersprache wird zur verbalen Sprache,<br />
indem <strong>di</strong>e Symptome der Sehnsucht, des Begehrens schriftlich besprochen<br />
und beschrieben werden, samt den Wirkungen, <strong>di</strong>e <strong>di</strong>ese starke Sehnsucht<br />
für <strong>di</strong>e Würde der über sich selbst reflektierenden Hauptfigur ausgelöst<br />
hat:<br />
»Helene wünschte sich <strong>di</strong>esen Selbstmordwunsch zurück. Das hatte<br />
nur mit ihr zu tun gehabt. Das Warten auf ihn. Die Sehnsucht nach<br />
Henryk. Das war entwür<strong>di</strong>gend. Abhängigkeit. Schnitt sie fast auseinander.<br />
In der Mitte. [...] Vielleicht sollte man schneller alt werden,<br />
dachte sie.« (Verf., S. 274-275)<br />
Allein kommt <strong>di</strong>e Wienerin Margarethe in Los Angeles an, um über <strong>di</strong>e<br />
Figur der Anna Mahler zu recherchieren. Gleich am Anfang sehnt sie sich<br />
nach einem Mann, der sie nicht begleitet hat, und im Selbstgespräch macht<br />
sie sich Vorwürfe, weil sie sich wie immer von ihm be<strong>di</strong>ngen lässt:<br />
»Und warum saß sie allein. Hier. Warum war er nun wirklich nicht mitgekommen.<br />
War sie schon wieder dabei, sich von ihm etwas einreden<br />
zu lassen. Sie hätte ihm <strong>di</strong>e Telefonnummer nicht geben sollen. Zwei<br />
Wochen nicht anrufen. Nicht reden können.« (Nachwelt., S. 17)<br />
Zwei Wochen allein: das kann sie sich nicht vorstellen, das wird sie<br />
„fertig bringen“.<br />
Schon nach der ersten einsamen Nacht stellt sie sich obsessiv immer<br />
wieder Fragen, auf <strong>di</strong>e keine Antwort zu finden ist: das physische Bedürfnis,<br />
<strong>di</strong>e Verzweiflung, das Triebhafte gelangt zum Ausdruck, auf der<br />
sprachlichen Ebene wird zumindest eine Erklärung möglich:<br />
»Kein Anruf. Er hatte nicht angerufen. Sie hätte umsonst gewartet.<br />
Wäre dagesessen. [...] Warum er nicht anrief. Nicht. Alle Möglich-<br />
Harmonisierung von Integrität des Leibs und des Geists. Gehen.« In: Mein Körper,<br />
Musilhaus 2000, o. S.