07.10.2013 Aufrufe

Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

54 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Essentiell beschreibt Evelyn Schlag <strong>di</strong>e Welt, sehr genau und auf hinreißende<br />

Weise. Sie mag und übt <strong>di</strong>e Analyse der präzisen Bewegungen,<br />

indem sie auf <strong>di</strong>e kleinsten aber wichtigsten Verschiebungen aufpasst, <strong>di</strong>e<br />

man von außen merken, sehen, hören, fühlen, tasten, riechen kann. Diese<br />

Bewegungen weisen dann immer auf <strong>di</strong>e innersten Zustände, auf <strong>di</strong>e<br />

Empfindungen und Gefühle, <strong>di</strong>e der menschlichen Seele gehören.<br />

Die Autorin hat oft erzählt, wie sie zum Schreiben gekommen ist: Das<br />

hat für sie von Anfang an bedeutet, jemanden herbeischreiben zu wollen,<br />

Schreiben um jemanden hineinzuziehen, um mit dem Leser einfach zu<br />

kommunizieren. Der Großvater brachte ihr das bei: Als sie fünf Jahre alt<br />

war, musste sie schreiben lernen, weil ihre Mutter für ein dreiviertel Jahr<br />

nach Amerika gefahren war. So vertraute das Kind seine Gefühle den<br />

Rückseiten der Fotos an, <strong>di</strong>e der Großvater von ihr machte und dann<br />

entwickelte.<br />

In ihrem Interview hat Sibylle Schlesier Evelyn Schlag gefragt, woher<br />

ihr Wille zur literarischen Arbeit komme, der ja auch sehr viel Mut erfordere,<br />

weil man schließlich aus sich heraus schreibt. Die Antwort lautete:<br />

»Ich glaube, daß wichtig war, was bei mir mit fünfzehn oder sechzehn<br />

begonnen hat: Tagebuchschreiben und sehr ausgedehnte Briefwechsel.<br />

[...] Ich habe Brieffreundschaften gepflogen, <strong>di</strong>e sehr intensiv<br />

waren. Das waren Protokolle meines Seelenlebens, wie auch <strong>di</strong>e<br />

Briefe, <strong>di</strong>e ich bekam. Das heißt, da hat sich bei mir <strong>di</strong>e Überzeugung<br />

festgelegt, daß das, was innerlich in einem vorgeht, wert ist, <strong>di</strong>skutiert<br />

zu werden und beim Notieren in eine Richtung geformt zu werden.<br />

Ich glaube, daß das ein wichtiger Impuls war. Und das führt dann<br />

einen Schritt weiter. Das Tagebuchschreiben hat aufgehört,<br />

Brieffreundschaften haben nicht aufgehört. Es ist nicht von ungefähr,<br />

daß in meinen Erzählungen immer wieder das Wichtigste eigentlich<br />

<strong>di</strong>e Beziehungen zwischen Menschen ist – <strong>di</strong>eses Nachspüren,<br />

<strong>di</strong>ese Nuancen, <strong>di</strong>eses Verschieben von Verhalten, wie sich Beziehungen<br />

zueinander anders gewichten, und daß das unmerklich geschieht.«<br />

28<br />

Für <strong>di</strong>ese Autorin gibt es <strong>di</strong>e Unterscheidung zwischen männlichem<br />

und weiblichem Schreiben einfach nicht: obwohl es ihr in der Vergangenheit<br />

wichtig erschien, das herauszufinden, denkt sie jetzt, dass <strong>di</strong>ese Frage<br />

zu keinem relevanten Ergebnis für ihre Arbeit führen kann:<br />

28 So Evelyn Schlag im Gespräch mit Sibylle Schlesier: „‚Ein Gramm Ewigkeit‘: Ein<br />

Gespräch mit Evelyn Schlag“. In: Modern Austrian Literature 1996, Jg. 29, Nr. 2, S. 136.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!