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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 171<br />

Auf den Seiten 61-62 werden <strong>di</strong>e Sätze sehr präzis aufgelistet, <strong>di</strong>e Rudolfs<br />

Minderwertigkeit bestätigen und wahrscheinlich befestigen, <strong>di</strong>e mehr<br />

oder weniger brutalen Vorwürfe, <strong>di</strong>e zu seinem Unbehagen entscheidend<br />

beitragen. Einige Beispiele dafür:<br />

1. Im Bereich der Körperlichkeit (den Mitschülern zuzuschreiben: Mädchen<br />

und Knabenstimmen?):<br />

– Du kannst keinen Frosch fangen<br />

– Du bist feig<br />

– Du hast zehn linke Daumen<br />

– Du bist ein Bettnässer<br />

– Du beißt Nägel<br />

– Du stotterst, wenn <strong>di</strong>e Lehrerin <strong>di</strong>ch nach dem Namen deiner Heimat<br />

fragt<br />

– Du bist dumm<br />

– Du weinst<br />

– Du bist häßlich<br />

Wie soll sich ein Kind und später ein Knabe fühlen, wenn er solche<br />

Worte, solche Sätze hört? Wie kann er ein positives Selbstbild reifen lassen,<br />

wenn er gezwungen ist, sich tagtäglich in dem Zerrspiegel des unfreundlichen<br />

Anderen anzuschauen? Was erkennt der Knabe in <strong>di</strong>esem Spiegel,<br />

wenn er den Kern seiner Identität in der Psyche noch nicht gefestigt hat?<br />

2. Im Bereich der Schule (den Lehrern/Lehrerinnen zuzuschreiben:<br />

Frauen und Männerstimmen?):<br />

– Du kannst kein Instrument spielen<br />

– Du kannst den Ball nicht auffangen<br />

– Du kannst nicht einmal singen<br />

– Du kannst <strong>di</strong>r keine Zahlen merken<br />

– Du kannst nicht rechtschreiben<br />

– Du kannst nicht einmal abschreiben<br />

– Du kannst <strong>di</strong>r nicht einmal <strong>di</strong>e Zehn Gebote Gottes merken<br />

Die arme Mutter sieht in ihrem Albtraum den Sohn am Kreuz hängen:<br />

<strong>di</strong>e Metapher des christlichen Opfers weist auf <strong>di</strong>e Intensität hin, mit der<br />

sie <strong>di</strong>e Ungerechtigkeit des sozialen Diskurses empfindet, der den Knaben<br />

verurteilt hat. Der versucht ja, sich zu vertei<strong>di</strong>gen: « ›Aber ich bin kein<br />

schlechter Mensch!‹ », aber das nützt nicht viel, <strong>di</strong>e Stimmen der anderen<br />

sind dominant, sind <strong>di</strong>e „kopflose“ Mehrzahl, <strong>di</strong>e sich das Recht anmaßen

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