Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 165<br />
» ›So neugierig und zutraulich; so vertrauensselig ist keine Frau. Nicht<br />
einmal ein Kind. [...] Und das nur, weil ich ihr <strong>di</strong>e Aquarelle und den<br />
Donauwalzer vorgespielt hab!‹ « (S.V., S. 92)<br />
Ihre Weiblichkeit ist sogar übertrieben, kunstvoll von der erzählerischen<br />
Instanz übertrieben, damit es offenbar wird, wie gefährlich solche<br />
Einstellung zu den anderen und zum Leben sein kann.<br />
Wegen ihrer Passivität und Resignation kann sie sich nichts Gutes erwarten:<br />
Die Figur Rudolfs scheint sich dessen völlig bewusst zu sein, denn<br />
er, der im Kampf schwer verletzt worden ist, richtet an den Freund Wilhelm,<br />
auf der Fahrt von Dänemark nach Frankfurt an der Oder, immer<br />
wieder <strong>di</strong>eselbe Bitte. Wilhelm solle sich nach Rudolfs Tod um Berta<br />
kümmern, und zwar auf eine besondere Weise. Es sei nämlich notwen<strong>di</strong>g,<br />
dass der Frontheimkehrer Wilhelm das Mädchen Berta Faust mit den Augen<br />
Rudolfs sehe, d.h. ihr eine neue Chance der Selbstidentifikation im<br />
Anderen biete und zur gleichen Zeit, so hofft der Musiklehrer, werde<br />
Wilhelm verstehen, wie zart und fragil und kindlich ihre Seele ist:<br />
» ›[...] Wer Berta mit meinen Augen sieht, der muß sie bewahren vor<br />
all jenen Schmutzfinken, <strong>di</strong>e sie mißbrauchen und in <strong>di</strong>e Schande<br />
stoßen könnten. [...]‹ « (S.V., S. 91)<br />
Aber Wilhelm ist nicht Rudolf, er weist weder <strong>di</strong>e Sensibilität noch <strong>di</strong>e<br />
Intelligenz des Musiklehrers auf: Er versucht zwar, den Eid zu erfüllen,<br />
den er seinem Freund geschworen hatte, beim besten Willen versucht er<br />
das Geigespielen zu lernen und Berta mit den Augen Rudolfs zu sehen,<br />
beides gelingt ihm jedoch nicht, weil er nicht Rudolf ist.<br />
Die Szene des Geigenspielen-Lernens wird mit der gewöhnlichen, subtilen<br />
Ironie erzählt, durch <strong>di</strong>e Wahl der Substantive „Geraunze“ (vgl. dazu<br />
das Verb „raunzen“, in der österreichischen Bedeutungsvariante: »weinerlich<br />
etwas zu ertrotzen suchen«, »vor sich hin weinen«) und Gejaule (im<br />
Sinne von: „anhaltendes, lästiges Jaulen“), <strong>di</strong>e schrill der musikalischen<br />
Harmonie widersprechen, sowie des Verbs „herauskritzeln“ (das üblicherweise<br />
in Bezug auf das Schreiben verwendet wird mit einer negativen<br />
Konnotation: »klein und schlecht leserlich schreiben« – »sinnlose Striche<br />
und Schnörkel machen«).<br />
»Berta, wegen des heftigen Geraunzes und Gejaules, das Wilhelm aus<br />
der Geige herauskitzelte, völlig verwirrt, begann zu weinen, um ihm<br />
schließlich <strong>di</strong>e Geige aus den Händen zu nehmen.<br />
›Laß das doch. Wilhelm. Laß sie in der Kommode. Laß sie. Sie ist