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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 155<br />

Auch Wilhelms Figur könnte problematisch werden, aber er darf keine<br />

Zweifel haben, er zieht es vor, stets Kompromisse einzugehen und „Gedankenkollisionen“<br />

zu vermeiden. Als tüchtiger Chauffeur, als Mann, als<br />

Träger der Ordnung, als integrierter Teil des Systems, als Brotgeber der<br />

Familie muss er <strong>di</strong>e Norm verkörpern: er kann sich nicht erlauben, etwas<br />

in Frage zu stellen. Manchmal beschreibt er Symptome, <strong>di</strong>e seine Angst<br />

und seine Gefühle signalisieren, das passiert zum Beispiel, wenn er Berta<br />

in der Irrenanstalt besucht. Während <strong>di</strong>e Frau ihm <strong>di</strong>e kleine Blechmadonna<br />

entgegenhält, <strong>di</strong>e für sie <strong>di</strong>e letzte Bindung zur Realität darstellt,<br />

empfindet er sicher ein Schuldgefühl oder zumindest <strong>di</strong>e Sorge, weil er weiß,<br />

dass Wilhelmine <strong>di</strong>e Kette mit der Blechmadonna, d. h. das „Kleinod“ Bertas<br />

gierig begehrt:<br />

»Ihm fiel ein, daß ein bestimmter unbestimmter Druck in der Magengegend<br />

unter Umständen gefährlicher ist als <strong>di</strong>e schmerzhaftesten<br />

Magenkrämpfe.« (S.V., S. 37)<br />

Wie kann er alles durchstehen? Sein Überlebensrezept besteht aus der<br />

Fähigkeit, stän<strong>di</strong>g Kompromisse einzugehen, keine endgültige Stellung zu<br />

nehmen, dauernd zu balancieren. Sehr gut kann er sein Lächeln einsetzen,<br />

auch um seiner Wilhelmine Widerstand zu leisten.<br />

Diese Stelle bietet ein klares Beispiel des Mechanismus, wodurch von<br />

der nonverbalen Körpersprache als Stimme der Subjektivität, der inneren<br />

Wünsche und Gefühle ein Bogen zur verbalen Metapher gespannt wird.<br />

Das Lächeln, das der nonverbalen Kommunikation <strong>di</strong>ent, erweist sich als<br />

notwen<strong>di</strong>g, um verschiedene Funktionen zu erfüllen und <strong>di</strong>e soziale Interaktion<br />

Wilhelms zu erleichtern. Als Form von „Ritualisierung der Unterordnung“<br />

wird das Lächeln, so wie auch das Schieflegen des Kopfes, gewöhnlich<br />

mit dem weiblichen Geschlecht verbunden. 38 Zur gleichen Zeit<br />

soll nämlich <strong>di</strong>eses Wort „Lächeln“, das im Text sehr häufig auftaucht,<br />

immer in Bezug auf <strong>di</strong>eselbe Figur, auch als Metapher verstanden werden,<br />

als bildlicher Ausdruck, der <strong>di</strong>e Ambivalenz seiner Ich-Konstitution auf<br />

eine „akzeptable“ Ebene transponiert, dabei entschul<strong>di</strong>gt sie seine Unfähigkeit,<br />

<strong>di</strong>e Schwerkraft der Verhältnisse abzubauen und eine positive Rolle im<br />

Leben Bertas zu spielen.<br />

Zur Mimik betont Rosemarie Lederer:<br />

38 So Erving Goffman (Gender Advertisements, New York: HarperTrade, 1979), zitiert<br />

im Band von Deborah Tannen: Andere Worte, andere Welten. Kommunikation zwischen Frauen<br />

und Männern, Frankfurt, New York: Campus Verlag, 1997, S. 208.

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