Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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76 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Um sich selbst zu entschul<strong>di</strong>gen, kauft er sich verlegen einen Kasperl,<br />
den er dann im Büro in einem Fach verschließt.<br />
»Der Kasperl schien nach etwas Unerreichbarem zu greifen. So entzog<br />
sich auch <strong>di</strong>e Arbeit. Der Gedanke daran blockierte das Aufatmen.«<br />
(BR, S. 48)<br />
Von der Sehnsucht nach einem anderen Leben, nach einer anscheinend<br />
unerreichbaren Existenz verzehrt, kann sich Brandstetter den Marktanalysen<br />
kaum mehr widmen: schon »der Gedanke daran blockierte das Aufatmen.«<br />
(BR, S. 48)<br />
Wie der französische Psychoanalytiker André Green festgestellt hat,<br />
wird oft <strong>di</strong>e Schönheit der künstlerischen Schöpfung mit der so genannten<br />
„Macht der Erotik“, mit den „subversiven Kräften der Sexualität“ gleichgesetzt:<br />
in ihrem Werk definiert Christina von Braun <strong>di</strong>e Gemeinsamkeit<br />
von Sexualität, Wahnsinn und Kreativität als Auseinandersetzung mit der<br />
psychischen Bisexualität, mit der Ambiguität, der Undefinierbarkeit, der<br />
Unentschiedenheit, dem Widerspruch. Im Gegensatz zu der klaren, hellen<br />
Welt der Vernunft, der Wissenschaft, zu der bestimmten und bestimmenden<br />
Entscheidungsfähigkeit, zu der Logik vom Entweder-Oder, lässt <strong>di</strong>ese<br />
andere Annäherungsweise an <strong>di</strong>e Realität auch das Andere, das Dritte, das<br />
Element des Neuen, des Unvorhergesehenen, des Irrationalen hereintreten.<br />
»Die psychische Bisexualität bedroht <strong>di</strong>e Ordnung – nicht nur eine<br />
bestimmte Ordnung, sondern das Prinzip selbst der Ordnung, das<br />
aus dem Gesetz der einen Antwort, der klaren Entscheidung, des<br />
Entweder-Oder besteht. Im Gegensatz dazu erhebt <strong>di</strong>e psychische<br />
Bisexualität den Anspruch auf Ambivalenz; sie vertritt <strong>di</strong>e Vielfalt,<br />
<strong>di</strong>e „mehrwertige Logik“, aber auch <strong>di</strong>e Abwechslung, den Zufall, <strong>di</strong>e<br />
mit <strong>di</strong>esen einhergehen.« 57<br />
So ist es in der Erzählung Evelyn Schlags nicht der schwache, der willenlose<br />
Brandstetter, der im Büro <strong>di</strong>e letzte Entscheidung trifft, sondern vielmehr<br />
sein Kollege Herbig:<br />
»Bei verschiedenen Anlässen war Brandstetter <strong>di</strong>ese mangelnde Entschlußfähigkeit<br />
vorgeworfen worden.« (BR, S. 48)<br />
Genauso wie bei der Arbeit, so geht er eher unsicher und vorsichtig<br />
57 Christina von Braun, Nicht ich: Logik, Lüge, Libido, S. 351.