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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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114 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Erscheinungen wahrzunehmen, für <strong>di</strong>e unsere Sprache Wörter besitzt, und<br />

wir ziehen <strong>di</strong>e Grenzen im Allgemeinen dort, wo unsere Sprache <strong>di</strong>e<br />

Grenzen zieht.« Und im positiven Sinne kann <strong>di</strong>e Sprache genau <strong>di</strong>ese rettende,<br />

erlösende Funktion ausüben:<br />

»[...] wir können das Erlebnis bewältigen, das uns andernfalls möglicherweise<br />

überwältigt hätte. [...] Es ist ganz sicher, daß <strong>di</strong>e Verbalisierung<br />

von Erlebnissen dem Menschen zum Vorteil, ja zur Rettung<br />

gereichen kann. Man denke nur an <strong>di</strong>e Psychoanalyse, <strong>di</strong>e im Prinzip<br />

ein kunstvoll geförderter Verbalisierungsprozeß ist. Ganz allgemein<br />

kann <strong>di</strong>e Verbalisierung eine Erfahrung reicher und menschlicher<br />

machen.« 107<br />

In <strong>di</strong>eser Erzählung Evelyn Schlags wird deutlich, dass es sowohl beim<br />

Schreiben als auch beim Lesen um <strong>di</strong>e Möglichkeit geht, der Banalität und<br />

Wiederholbarkeit des Alltagslebens einen Sinn zu geben. Das ist ja<br />

schließlich seit jeher, seit Homers mythischen Konstruktionen, <strong>di</strong>e Funktion<br />

der Epik, d.h. Elementarsituationen zu erkennen und zu reproduzieren.<br />

Es ist ja schon unbestreitbar, dass man in der postmodernen Zeit endgültig<br />

auf den Anspruch verzichtet hat, einen absoluten Sinn zu finden, eine<br />

endgültige Wahrheit zu entdecken und konsequent eine vollkommene Erzählform<br />

vorzuschlagen. Wie der italienische Philosoph Gianni Vattimo in<br />

Das Ende der Moderne geschrieben hat, ist <strong>di</strong>e Epoche der Wahrheit der<br />

Kunst schon längst untergegangen: das Sein manifestiert sich besonders<br />

im 20. Jahrhundert – in der Zeit, welche als post-histoire bezeichnet wird –<br />

nicht mehr als Stärke (<strong>di</strong>e Attribute wie Großartigkeit, Evidenz, Endgültigkeit,<br />

Dauer aufweisen würde), sondern es gibt sich jetzt, wie sich schon in<br />

Nietzsches Nihilismus angekün<strong>di</strong>gt hatte, als das, was entschwindet und vergeht:<br />

nicht als das, was feststeht, sondern als das, was geboren wird und stirbt.<br />

Aber mit dem Ereignis des Seins, in der Epoche der Schwächung des Seins<br />

kün<strong>di</strong>gt sich für den Menschen eine unerhörte Chance an:<br />

»Die Emanzipation des Menschen besteht sicherlich auch, wie Sartre<br />

will, in der Wiederaneignung des Sinns der Geschichte durch <strong>di</strong>ejenigen,<br />

<strong>di</strong>e sie konkret machen. [...] Wir eignen uns den Sinn der Geschichte<br />

wieder an, indem wir akzeptieren, daß sie kein besonderes<br />

Gewicht und keine metaphysische oder theologische Endgültigkeit<br />

hat.« 108<br />

107 Ernst Leisi, Paar und Sprache (1993), S. 89 f.<br />

108 Gianni Vattimo, Das Ende der Moderne. Aus dem Ital. übersetzt und herausgegeben<br />

von Rafael Capurro, Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1990, S. 34.

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