Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 247<br />
und im Diner. Nirgendwo könne man allein so gut durchkommen<br />
wie in L.A. Wo doch jeder andere auch ein Single sei.« (Nachwelt., S. 41)<br />
Dazu erwidert sie, den zwangsläufigen Schluss ziehend:<br />
» ›Bin ich für <strong>di</strong>ch jetzt schon ein Single.‹ «<br />
Er wehrt anscheinend ab:<br />
»Das habe er nicht so gemeint. Für sich. Für sie beide. Natürlich sei<br />
sie kein Single. Aber in L. A. Da sähe es doch so aus. Er habe das<br />
wirklich nicht so gemeint.«<br />
Der ganze Diskursfetzen stellt aber auch eine rhetorische Formel dar,<br />
wodurch man/frau etwas negierend behauptet. Sie versteht es plötzlich:<br />
»Sie fühlte sich von ihm entfernt. Er sah sie nicht mehr als <strong>di</strong>e Seine.<br />
Sie konnten eben nicht mehr. Miteinander. Konnten nicht mehr in<br />
einer gemeinsamen Stimmung bleiben. Nicht einmal am Telefon. Sie<br />
redeten verschieden über dasselbe. Meinten anders.«<br />
Dieses schmerzhafte Bewusstsein wird durch seinen letzten Satz bestätigt:<br />
»Er sagte Greterl. „Ich liebe <strong>di</strong>ch doch“. Sie legte auf. Das „doch“.<br />
Er liebte sie nicht mehr. Er liebte sie „doch“. Er konnte sie nicht<br />
brauchen. Gerade.« (Nachwelt., S. 42)<br />
Der Sprechakt wirkt eindeutig aufgrund des emotionellen Kontextes<br />
und der Weigerung des Mannes, zu ihr zu fliegen: so ist Margarethe plötzlich<br />
gezwungen, sich mit der nackten Tatsache zu konfrontieren. Sie ist<br />
sich selbst ausgesetzt, in ihrer völligen In<strong>di</strong>vidualität erfroren: erst <strong>di</strong>e<br />
durch ihre Reise gewonnene Distanz erlaubt ihr, über <strong>di</strong>e eigene Leere,<br />
über den Abgrund zu reflektieren, in den sie hineinstürzen könnte.<br />
»Niemand brauchte sie. Eigentlich brauchte sie niemand. Nicht einmal<br />
ihr Kind. Und das war das Leben gewesen. Bisher. Gebraucht<br />
werden. Aus Liebe. Wie sollte das weitergehen. Sie legte sich auf <strong>di</strong>e<br />
Couch. Sinn. Wo sollte sie einen Sinn hernehmen.« (Nachwelt., S. 42)<br />
In der Verzweiflung, in <strong>di</strong>e sie geraten ist, wird es ihr aber möglich, <strong>di</strong>e<br />
realen Zusammenhänge zu erkennen und einen eigenen Blick auf ihr Leben<br />
zu werfen, was sich in der Sprache, in der zerfetzten erlebten Rede<br />
ausdrückt, der Atemnot, der Verwirrung, <strong>di</strong>e keine Anhaltspunkte mehr<br />
bietet. Das bedeutet für sie schon, nicht zu scheitern, zumindest nicht<br />
mehr, nicht länger an Würde zu verlieren: