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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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170 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Die Lebenskraft Bertas wird allmählich erschöpft und sie wird zum<br />

Schweigen, zur Fühllosigkeit und zum Wahnsinn „gezwungen“, weil sie letztendlich<br />

in den Augen Klein-Bertas <strong>di</strong>e Zeichen derselben Unterdrückung<br />

gesehen hat:<br />

»[...] <strong>di</strong>e Orientierung der Tochter, das hingenommene ‚Kastriertsein’<br />

der Tochter trifft auch <strong>di</strong>e Mutter, <strong>di</strong>e Sprache der Mutter, <strong>di</strong>e in der<br />

Tochter ihr Selbst, ihr kreatives Wesen und Prinzip hat erkennen<br />

können und wollen [...].« 48<br />

Dieser Mechanismus der Beziehung Mutter-Tochter wird in der Erzählung<br />

von Marianne Fritz am deutlichsten, „wörtlich“ exemplifiziert. In<br />

den Augen von Klein-Berta, als Sonderschülerin „orientiert“ und verstummt,<br />

erblickt <strong>di</strong>e Mutter das eigene Stummwerden und das eigene Totsein:<br />

<strong>di</strong>eses Schicksal will sie ihr ersparen, deshalb entscheidet sie sich für<br />

<strong>di</strong>e grausame, blutige Revolte gegen <strong>di</strong>e „Tatzen des Lebens“.<br />

Im Sinne der Hysterie kann an <strong>di</strong>eser literarischen Figur der Versuch<br />

der Mutter erkannt werden,<br />

»[...] <strong>di</strong>e eigenen Kinder – besonders ihre Tochter – zu einem narzisstischen<br />

Ebenbild ihrer selbst zu machen. Sie wird bis zur Verschmelzung<br />

der Identitäten mit ihren Kindern „eins werden“. Sie ist<br />

unmütterlich, indem sie übermütterlich ist. Eben dadurch weckt sie<br />

in ihrem Kind das Bedürfnis, sich gegen sie zu schützen.« 49<br />

3.6. Berta vollendet ihre Schöpfung – Die Mutter-Kinder-Tragö<strong>di</strong>e als Folge<br />

der sprachlichen Gewalt<br />

Im Delirium hört <strong>di</strong>e Mutter <strong>di</strong>e Stimmen, <strong>di</strong>e Frauen-Mädchen-Männer-und-Knabenstimmen,<br />

<strong>di</strong>e ihren Sohn schon von Kindheit an endgültig<br />

verurteilt haben. Es scheint, als hätte ihm <strong>di</strong>e ganze Gemeinschaft Gewalt<br />

angetan, ohne <strong>di</strong>e geringste Berücksichtigung der wahren Natur des<br />

Knaben. Aber was ist unsere wahre Natur? Wird sie nicht, wie mehrmals<br />

erwähnt, von den anderen, also intersubjektiv mitbestimmt? Wir müssen<br />

unsere Identität zwar balancieren, indem wir auch auf <strong>di</strong>e Meinungen und<br />

Gesichtspunkte der anderen aufpassen, aber es kann sowohl passieren,<br />

dass wir unseren eigenen Wert übertreiben, als auch dass <strong>di</strong>e anderen uns<br />

keine Chance geben, unseren Wert zu beweisen.<br />

48 Ingvild Birkhan (1993), S. 19.<br />

49 Christina von Braun, Nicht ich: Logik, Lüge, Libido (1994), S. 253.

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