Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

144 Das Leben in den Worten ~ die Worte im Leben
Wilhelmine typisch männlich: der Leser/die Leserin kann daraus schließen,
dass die Autorin ironisch dieser Figur männliche Stereotypen und
Wertungen in den Mund gelegt hat, aber man darf nicht vergessen, dass
viele Frauen sich einen Weg zur Emanzipation durch die Aneignung
männlicher Strategien, mannhafter Redeweisen und Verhaltensmuster
bewusst oder unbewusst bahnen wollen.
Wenn wir jetzt auf die Ergebnisse der sozialpsychologischen Forschung
rekurrieren wollen, sollten wir uns auf das traditionelle Kongruenz-Modell
psychischer Gesundheit beziehen, das bis in die 70er Jahre galt:
»Danach sollte die psychische Gesundheit am höchsten bei jenen
Personen sein, die die zu ihrem Geschlecht passenden Eigenschaften
aufweisen.« 21
Erst später begann man, Maskulinität und Feminität als zwei voneinander
unabhängige Dimensionen anzusehen:
»Das heißt, eine Person kann unabhängig von ihrem Geschlecht sowohl
maskuline und feminine Eigenschaften besitzen.« 22
Zur Messung von geschlechtsspezifischen Eigenschaften wurde ein
Fragebogen entwickelt, der zwei Skalen enthält.
Der Skala Instrumentalität gehören die Eigenschaften zu, die als charakteristisch
für einen „typischen Mann“ gelten:
– unabhängig
– aktiv
– wettbewerbsorientiert
– leicht Entscheidungen fällend
– nicht leicht aufgebend
– selbstsicher
– sich überlegen fühlend
– Druck gut standhaltend
Der Skala Expressivität gehören folgende, für eine „typische“ Frau charakteristischen
Eigenschaften:
– gefühlsbetont
– fähig auf andere einzugehen
21 So Monika Sieverding, Frauen und psychische Gesundheit. Die Rolle „männlicher“ und
„weiblicher“ Persönlichkeitseigenschaften. In: Ursula Nuber (Hrsg.), Bin ich denn verrückt?! Was
Psychotherapie für Frauen leistet – und was nicht, Zürich: Kreuz-Verlag, 1994, S. 16.
22 Ebenda.