Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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92 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
lung) durch den Rezipienten oder <strong>di</strong>e Rezipientin eine nicht unbedeutende<br />
Rolle.« 73<br />
Dieses Modell der seismographischen Innenschau, <strong>di</strong>ese Rekonstruktion<br />
der prozesshaften Entwicklung ihrer eigenen Selbstkonstitution erweist<br />
sich als besonders produktiv insbesondere für <strong>di</strong>e Textrekonstruktion<br />
der Erzählung Die Kränkung. Im Laufe ihres fast zweihundert Seiten<br />
langen Monologes rekonstruiert <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin, 74 <strong>di</strong>e eigene Entwicklung<br />
als Frau und besonders als schreibende Frau, <strong>di</strong>e allmählich lernt,<br />
<strong>di</strong>e Annährungsstufen zum Prozess des Schreibens zu protokollieren. Im<br />
Allgemeinen hat man/frau den Eindruck einer schmerzhaften Einsamkeit,<br />
eines Schicksals, dem <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin sich gewidmet, wie geweiht<br />
fühlt. 75<br />
In der Erzählung Die Kränkung fragt <strong>di</strong>e imaginäre Kathleen <strong>di</strong>rekt und<br />
kompromisslos <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin:<br />
»Fehlt <strong>di</strong>r nicht manchmal das Gespräch über Literatur, übers<br />
Schreiben? fragt Kathleen.–« (Die Kr., S. 33)<br />
Darauf antwortet <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin bejahend, aber sie fügt eine Bemerkung<br />
hinzu, <strong>di</strong>e ihr schmerzhaftes Bewusstsein ausdrückt: in Wahrheit<br />
führt sie gerade einen inneren Monolog und keinen Dialog mit der Projektionsfigur<br />
der toten Dichterin Kathleen:<br />
»Ich habe ja <strong>di</strong>ch, sage ich und weiß, daß ich sie in <strong>di</strong>esem Augenblick<br />
nicht erreiche. Ich habe ja <strong>di</strong>ch, wiederhole ich.« (Die Kr., S. 33)<br />
In der Erzählung Die Kränkung entwickelt sich <strong>di</strong>eses existentielle<br />
Kommunikationsbedürfnis als imaginärer, idealer Dialog mit einer Figur,<br />
<strong>di</strong>e nur eine Vorstellung im Kopf der Protagonistin ist, eine Projektion ihrer<br />
Lektüren und Phantasien, eine Konkretion ihrer Versuche, <strong>di</strong>e eigene<br />
Persönlichkeit, <strong>di</strong>e eigene Selbstkonstitution zu analysieren und sie als<br />
Sprache – auf der sprachlichen Ebene – zu bestimmen.<br />
73 Ebenda.<br />
74 Was <strong>di</strong>e Bezieung der Ich-Erzählerin zur Autorin betrifft, vgl. u.a. <strong>di</strong>e Aussage der<br />
Autorin: »Mich hat immer <strong>di</strong>e Neuseeländerin Katherine Mansfield fasziniert. Weniger<br />
ihrer Erzählungen wegen, <strong>di</strong>e ich zwar auch bewundert habe, weil sie eine perfekte<br />
Technik der Kurzgeschichte entwickelt hat, als vielmehr in ihrem Leben als kranke<br />
Künstlerin.« So Evelyn Schlag im Gespräch mit E. Grohotolsky, „Die Wahrnehmungskünstler<br />
und <strong>di</strong>e Kranken“ (1995), S. 158.<br />
75 Ebenda.