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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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188 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

3.9. Widerstand leisten. Oder: Wie kann man/frau auf <strong>di</strong>e Schwerkraft der<br />

Verhältnisse reagieren? Ein positives Bespiel auf der Suche nach einem<br />

(„weiblichen“) Konzept des Glücks bietet <strong>di</strong>e Erzählung Birgit Vanderbekes<br />

Ich sehe was, was du nicht siehst<br />

Im Gegensatz zum tragischen, hoffnungslosen Ende der Erzählung<br />

von Marianne Fritz will ich einen anderen Text zitieren, der auch ein utopisches<br />

Modell des Weiblichen evoziert, aber kein tragisches Ende vorführt<br />

und den Lesenden zeigt, wie der Mensch sich das Glück nicht mehr<br />

als Totalität, als definitive Erfüllung vorstellen sollte, sondern wie er/sie<br />

Fragmente von Glück in den kleinen alltäglichen Dingen, in einer sittlichen<br />

Dimension der Freundschaft und Fröhlichkeit erleben könnte.<br />

Die Schwerkraft, <strong>di</strong>e Last der Verhältnisse, Il peso delle circostanze: Merkwür<strong>di</strong>gerweise<br />

fand ich <strong>di</strong>esen Ausdruck wieder, und zwar in einer Rezension,<br />

<strong>di</strong>e das Buch der deutschen Autorin Birgit Vanderbeke besprach, Ich sehe<br />

was, was du nicht siehst. 64<br />

»Man kann einfach weggehen, dachte ich. Entweder man geht ein<br />

bißchen weg, oder man geht richtig weg, oder man bleibt.« (Ich sehe,<br />

S. 7)<br />

Hier trifft <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin nach einigem Überlegen <strong>di</strong>e erlösende<br />

Entscheidung, wegzugehen, weg von ihrem Leben in einer befremdenden<br />

Stadt, weg von der erschöpfenden Alltagsroutine, in der nichts mehr zu<br />

entdecken ist, weg von den Leuten, <strong>di</strong>e ihren Freiheitswunsch nicht verstehen<br />

bzw. verstehen wollen.<br />

Ihre Mutter, eine weitere, unbeirrbare Fürsprecherin der Ordnung und<br />

der Norm, ist natürlich dagegen, aber sie lässt sich gar nicht einschüchtern<br />

und schlüpft voller Anmut aus dem telefonischen Gespräch:<br />

»Meine Mutter wollte mit mir sprechen und wurde böse. Mir war es<br />

lieber, als wenn sie traurig würde. Sie sagte, da ist alles voller Atomkraftwerke.<br />

Es klang, als hätte ich <strong>di</strong>e Atomkraft erfunden. Ich sagte,<br />

entschul<strong>di</strong>ge bitte, ich glaube, es hat geklingelt.« (Ich sehe, S. 15)<br />

einem anderen in einer Weise organisiert worden ist, <strong>di</strong>e er nicht völlig vorhersehen<br />

konnte: denn <strong>di</strong>e Möglichkeiten, <strong>di</strong>e er dargeboten hatte, waren schon rational organisiert,<br />

orientiert und mit organischen Entwicklungsdrängen begabt.« Umberto Eco, Das offene<br />

Kunstwerk, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, 1973, S. 55.<br />

64 Birgit Vanderbeke, Ich sehe was, was du nicht siehst, Berlin: Alexander Fest Verlag, 1999.<br />

Im Folgenden zitiert mit Ich sehe und Seitenzahl.

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