Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 215<br />
Seins führt. Seine eigene Weiblichkeit als geächtet und leblos wahrzunehmen,<br />
führt in <strong>di</strong>e Selbstzerstörung.« 58<br />
Der Blick und <strong>di</strong>e Worte der Mutter haben Lisas Charakter für immer<br />
geprägt, ihr Spott hat auf ihre ganze Existenz rückgewirkt:<br />
»Wenn man an Samstagsabenden nichts vorhatte, sahen <strong>di</strong>e anderen<br />
einen seltsam an. Die Mutter hatte immer gefragt, was sie machen<br />
werde an <strong>di</strong>esem Abend. Lisa hatte irgend etwas gemurmelt von<br />
Lernen, und <strong>di</strong>e Mutter hatte sich spöttisch abgewandt.« (L. L., 3.<br />
Folge, S. 40)<br />
Als der Vater stirbt, „muss“ Lisa neue Kleider aus der mütterlichen<br />
Boutique anziehen: <strong>di</strong>e in<strong>di</strong>rekte Rede reproduziert <strong>di</strong>e Haltung der Mutter,<br />
immer zur Strafe und zum negativen Urteil bereit, nur auf das Äußere<br />
aufmerksam:<br />
»Zumindest aussehen könne sie ordentlich, wenn sie es schon nicht<br />
sei, hatte ihre Mutter gesagt.« (L. L., 1. Folge, S. 33)<br />
Von <strong>di</strong>eser strengen, gefühllosen Mutter hat sie nie erfahren, wie man<br />
<strong>di</strong>e eigenen Emotionen ausgeglichen äußern und zugleich beherrschen<br />
kann, deshalb ist sie ihnen auch völlig ausgesetzt:<br />
»Sie konnte nichts gegen <strong>di</strong>e Tränen machen, <strong>di</strong>e ihr bei der kleinsten<br />
Erschütterung über <strong>di</strong>e Wangen liefen. Ihr war, als könnte sie keine<br />
Luft bekommen.« (L. L.,1. Folge, S. 35)<br />
Die Eltern, <strong>di</strong>e ältere Generation, brauchten nie sich selbst Fragen zu<br />
stellen. Alles schien selbstverständlich, unwiderruflich, unbestreitbar. Das<br />
gewöhnte <strong>di</strong>e Kinder aber sicher nicht daran, auf <strong>di</strong>e Variablen der Existenz<br />
zu reagieren und sich kritisch und selbstbewusst zu benehmen:<br />
»In der Rauhensteingasse war nie geredet worden. In der Rauhensteingasse<br />
war alles selbstverständlich gewesen. In der Rauhensteingasse<br />
hatte es nicht einmal <strong>di</strong>e Vorstellung gegeben, es könnten Fragen<br />
gestellt werden.« (L. L., 3. Folge, S. 65)<br />
Einige In<strong>di</strong>zien, im Text verstreut, teilen dem Leser/der Leserin mit,<br />
dass <strong>di</strong>e Kontrolle, <strong>di</strong>e in der Familie über Lisas Körper ausgeübt wurde,<br />
wahrscheinlich total war, im Sinne einer repressiven, autoritären Erziehung.<br />
Als Erwachsene erinnert sich Lisa in New York, einmal zwischen<br />
58 Rosemarie Lederer, Grenzgänger Ich (1998), S. 156.