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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 59<br />

sie als illegal bezeichnen und mit psychiatrischer Haft bestrafen.« (Ebd.)<br />

In dem Interview „Die Wahrnehmungskünstler und <strong>di</strong>e Kranken“ hat<br />

<strong>di</strong>e Autorin zugestanden, wie wichtig für sie <strong>di</strong>e schon zitierte Handke-<br />

Lektüre und insbesondere der Text Wunschloses Unglück gewesen sei, als<br />

Modell für ihre erste Prosa:<br />

»In meiner ersten Erzählung Nachhilfe gibt es eine Figur, den Studenten<br />

Stefan, der sich <strong>di</strong>e Wirklichkeit ähnlich einverleibt wie <strong>di</strong>e<br />

Handke-Figuren in ihrem Beobachtungs- und Beschreibungswahn;<br />

<strong>di</strong>eser Stefan notiert auch Beobachtungen. Das ist schon so eine<br />

späte Reflexion <strong>di</strong>eser Lektüre.« 38<br />

Die Figur von Stefan Meznik ergreift selbst das Wort und stellt sich<br />

vor: 27 Jahre, le<strong>di</strong>g, ehemals Student der Mathematik und Geschichte, jetzt<br />

verschiedener Sozialwissenschaften, spielt in <strong>di</strong>esem Text „<strong>di</strong>e zweite<br />

Hauptrolle“ (Nachhilfe, S. 15).<br />

Als polyphonisch erweist sich also <strong>di</strong>ese erste Prosa von Evelyn Schlag,<br />

indem sie viele Stimmen sprechen lässt, damit <strong>di</strong>e Redevielfalt der Realität<br />

auftauchen kann.<br />

Stefan, der den Kindern der nichterwerbstätigen Hausfrau Marianne N.<br />

Nachhilfestunden geben soll, reflektiert über <strong>di</strong>e Möglichkeit, eine nicht<br />

belei<strong>di</strong>gende, „objektive“ Beschreibung von Marianne zu vermitteln, indem<br />

er sich selbst Fragen stellt und schon im voraus weiß, dass es sich<br />

dabei praktisch um eine „unmögliche Aufgabe“ handelt:<br />

»ihr Beruf: nichterwerbstätige Hausfrau<br />

meiner: zu zeigen, was das bedeutet<br />

aber: ich glaube nicht an den Erfolg meiner Arbeit, ich<br />

bezweifle <strong>di</strong>e bewußtseinsverändernde Wirkung meiner<br />

<strong>Stu<strong>di</strong></strong>e. Alles, was ich erreichen werde, ist: eine umso<br />

aggressivere Behauptung aller Beteiligten<br />

wie viele Stunden kostet Sie täglich der Haushalt?«<br />

(Nachhilfe, S. 14)<br />

Aus den Büchern <strong>di</strong>eses Mannes erfährt Marianne etwas über <strong>di</strong>e eigene<br />

Position und assoziiert spontan <strong>di</strong>e Begriffe in den von ihm unterstrichenen<br />

Zeilen eines Buches, indem ihr zum erstenmal zum allmählichen<br />

Bewusstsein kommt, was ihre bisher verschwiegene Identität sowie ihre<br />

Rolle in der Familie und in der Gesellschaft betrifft.<br />

38 So Evelyn Schlag, „Die Wahrnehmungskünstler und <strong>di</strong>e Kranken“, S. 158.

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