Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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42 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
Systeme erlaubt, andererseits <strong>di</strong>e Welt-Dinge erhellt, da weder eine textimmanente<br />
noch eine textexterne Analyse an und für sich genügt, <strong>di</strong>e<br />
Komplexität des Geheimnisses Literatur zu erklären und <strong>di</strong>e Wirkung zu<br />
erläuten, <strong>di</strong>e sie auf potentielle und empirische Leser ausübt.<br />
Drittens weist <strong>di</strong>e zitierte Aussage auf den Komplex der körperlichen<br />
Einschreibung in <strong>di</strong>e Texte hin, eine Grundfrage der feministischen Literaturwissenschaft,<br />
und zwar auf <strong>di</strong>e Deutung des hysterischen Diskurses, 61 der<br />
bei den drei Autorinnen auftaucht, obwohl in verschiedenem Maße und<br />
nach einem je unterschiedlichen Grad des Bewusstseins, als Infragestellung<br />
der abendlän<strong>di</strong>schen Ratio.<br />
Während <strong>di</strong>e Erzählung Die Schwerkraft der Verhältnisse das Drama einer<br />
Hysterikerin inszeniert, <strong>di</strong>e über keine Sprache verfügt, um das eigene<br />
Unbehagen zu manifestieren, was am Ende <strong>di</strong>eser Erkrankung (an der<br />
furchtbaren Realität) in ihrer Medea-Rache extreme Folgen hat, ist <strong>di</strong>e<br />
Antinomie von Körper und Geist, das hysterische Symptom, als Wiederkehr<br />
des verdrängten Körpers in der Sprache, 62 in den Texten und in den<br />
Formulierungen der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz mit starker Intensität<br />
und Selbstbewusstsein ver<strong>di</strong>chtet, wie in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen<br />
zu lesen ist:<br />
»In einer Kultur, in der Begehren <strong>di</strong>e Tat vorwegnimmt und deshalb<br />
das Begehren den Tatbestand der Sünde erfüllt, ist der Vorwurf des<br />
Begehrens ebenso ein Entdecken der Sünde.« 63<br />
Die Entfremdung oder eher <strong>di</strong>e Fremdbestimmung des eigenen Körpers,<br />
dem schon grammatisch eine autoritäre, männliche Identität von der<br />
Kindheit an auferlegt wurde, hat <strong>di</strong>e Autorin 2000 in ihrem Vortrag im<br />
Musilhaus auch erklärt:<br />
»Zuerst einmal ist es der. Der Körper. Der Leib. Seit ich mich erinnern<br />
kann […] und war durch <strong>di</strong>eses „er“, durch <strong>di</strong>eses „der“ von mir<br />
abgetrennt.« 64<br />
61 Lena Lindhoff (1995) erinnert daran, dass <strong>di</strong>ese Deutung in der letzten Zeit im<br />
Zuge des poststrukturalistischen Para<strong>di</strong>gmenwechsels in der feministischen Literaturwissenschaft<br />
Schule gemacht hat (S. VII ff.).<br />
62 Vgl. Josef Breuer, Sigmund Freud, <strong>Stu<strong>di</strong></strong>en über Hysterie. Einleitung von Stavros<br />
Mentzos, Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1991.<br />
63 Marlene Streeruwitz, Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen. Frankfurter<br />
Poetikvorlesungen, Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, 1998, S. 38.<br />
64 Marlene Streeruwitz, Mein Körper, ein im Musilhaus gehaltener Vortrag, Klagenfurt<br />
7. 6. 2000. Siehe dazu Anm. 55.