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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 143<br />

schweige denn Kinder großziehen« kann, wird in den letzten Phasen des<br />

Krieges sinnlos sterben und wird sich weder um den eigenen Sohn noch<br />

um <strong>di</strong>e geliebte Berta kümmern können.<br />

Wilhelmine ist nicht Berta: so ist der erste Abschnitt betitelt. Aber – abgesehen<br />

von der weiblichen Endung des Namens – trägt <strong>di</strong>ese Figur männliche,<br />

allzumännliche Züge, <strong>di</strong>e sie sprachlich, durch einen für sie/ihn? typischen<br />

Diskurs ausdrückt, und wird stän<strong>di</strong>g auch mit „männlichen“ Ausdrücken<br />

von der erzählerischen Instanz beschrieben, wie im Abschnitt, der<br />

Wilhelmine unterwegs betitelt ist.<br />

»Wilhelmine war im Hof unruhig auf und ab marschiert. [...] Wilhelmine<br />

war empört, sehr empört. [...] Ihre Empörung hatte bitter Bewegung<br />

nötig, recht viel Bewegung. Erst als ihre Tatkraft zweigeteilt<br />

war auf Bewegung und Empörung, vermochten sich in ihrem Gehirn<br />

<strong>di</strong>e eher vernünftigen Gedanken durchzusetzen.« (S.V., S. 96 f.)<br />

Zu den Leuten ist sie immer entschieden und furchtbar selbstsicher,<br />

sogar zerstörerisch mit Worten und Mimik: sie wirft mal einen „vernichtenden<br />

Blick“ (auf <strong>di</strong>e Krankenschwester, S. 97), mal einen „niederschmetternden<br />

Blick“ (auf den Ehemann Wilhelm, S. 98), sie geht nicht,<br />

sondern marschiert „hocherhobenen Hauptes vorbei“ (S. 98), <strong>di</strong>e Erstarrung<br />

wird also auch in der Körpersprache signalisiert, als Metapher für ihre<br />

Stumpfsinnigkeit und ihre grausame Entschiedenheit:<br />

»Sie keuchte Treppen bergauf, bergab. Eine Hand zur Faust geballt,<br />

<strong>di</strong>e andere um <strong>di</strong>e Handtasche gekrampft.« (S.V., S. 97)<br />

In der ganzen Struktur des Textes, von <strong>di</strong>esem Anfang bis zum Ende,<br />

stellen Berta und Wilhelmine zwei entgegengesetzte Welten dar. Die eine,<br />

der Berta angehört, ist <strong>di</strong>e Welt der Phantasie, der utopische Freiraum der<br />

Illusionen, der zärtliche Bereich der Emotionen und der Gefühle, und <strong>di</strong>e<br />

zweite ist <strong>di</strong>e Welt der Starrheit, der Ordnung, der Regel, <strong>di</strong>e schrecklich<br />

nackte Dimension des Alltäglichen, <strong>di</strong>e Wilhelmine para<strong>di</strong>gmatisch und<br />

auf grotesk über<strong>di</strong>mensionierte Weise symbolisiert:<br />

»Wilhelmine war in ihrem Element. Sie mußte Ordnung schaffen, <strong>di</strong>e<br />

Verhältnisse ins rechte Lot bringen und den Unglücksraben Berta<br />

vor der Zweifel- und Grübelsucht Wilhelms in Sicherheit bringen.«<br />

(S.V., S. 98)<br />

Wenn <strong>di</strong>e Subjektivität des Einzelnen, <strong>di</strong>e Identität, nur mittels Sprache<br />

konstituiert und verhandelt werden kann, 20 so erscheint der Diskurs von<br />

20 Vgl. Rosemarie Lederer, Grenzgänger Ich (1998), S. 17.

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