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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 179<br />

wachsende Fastwolkenkratzer, keine Brüche, keine Risse, weithin nur<br />

spiegelnde Glätte.«<br />

Die Autorin propagiert sicher keine Revolte gegen <strong>di</strong>e Übereinkünfte,<br />

<strong>di</strong>e das Menschsein innerhalb der Gesellschaft regeln und auch ermöglichen:<br />

sie nimmt aber an, dass es auch Abweichungen von den normalen,<br />

gewöhnlichen Übereinkünften geben kann und darf, sowie andere Übereinkünfte<br />

und/oder sogar andere Umstände, denn <strong>di</strong>e Wirksamkeit der<br />

Übereinkunft ist gefährlich für das Leben selbst; sie kann Erlebtes endgültig<br />

erstarren, glätten, behindern, vereinfachen, verflachen:<br />

»[sie] deckt zu, wo ich abdecken möchte; bekleidet, wo ich ausziehen<br />

möchte; macht ruhig, wo Unruhe ist; vollendet, was eine Ruine ist;<br />

schafft Übersicht, wo keine ist; da sag ich mir dann: So nicht, liebes<br />

Wort, liebes Zeichen. Du leistest noch viel mehr, wenn es <strong>di</strong>r zugebilligt<br />

wird. Du kannst noch viel mehr, wenn du nicht derartigen<br />

Einschnürungen ausgesetzt bist und bleibst.« 51<br />

Nach <strong>di</strong>eser poetologischen Aussage werden <strong>di</strong>e Lesenden verstehen,<br />

wie sehr <strong>di</strong>e Autorin <strong>di</strong>e Abweichung von der Norm, <strong>di</strong>e „Verletzung einer<br />

Regel“ zum kompositorischen Prinzip erhebt.<br />

Auf Papier, betont Marianne Fritz, ist das Aufheben der Eindeutigkeit realisierbar,<br />

und damit auch ein näheres Herangekommensein an <strong>di</strong>e Figuren, an <strong>di</strong>e<br />

Ereignisse, an <strong>di</strong>e Vita als Prozess, sowie <strong>di</strong>e Rückwirkung von Ereignissen<br />

auf Gruppen und Einzelne: bi<strong>di</strong>rektional also, von den Erlebnissen zum<br />

Papier und vom Papier wieder zu den Erlebenden.<br />

Welchen Zweck soll <strong>di</strong>eser bi<strong>di</strong>rektionale Prozess erfüllen? Die Verletzung<br />

der Regel, <strong>di</strong>e Abdeckung des Zugedeckten, <strong>di</strong>e Beunruhigung des<br />

Ruhigen soll zu einem neuen Deutungshorizont beitragen, damit <strong>di</strong>e Lesenden<br />

<strong>di</strong>e Fähigkeit zu Blick-Richtungs-Wechseln entfalten, entwickeln, steigern<br />

können. Und das ist ja möglich dank der Wörter, dank der Schrift, <strong>di</strong>e<br />

das Bewusstsein fördert, unter anderem <strong>di</strong>e Fähigkeit zu Blick-Richtungs-<br />

Wechsel:<br />

»[...] wenn unter anderem immer tiefer ins eigene Bewußtsein eindringt<br />

und <strong>di</strong>eses darauf reagiert[...].« 52<br />

So verstehen <strong>di</strong>e Lesenden allmählich, dass <strong>di</strong>e Sprache dem Erfassen<br />

der Wirklichkeit <strong>di</strong>ent, dem Vermitteln von Sachverhalten, da Sprache und<br />

51 Marianne Fritz, Aus Briefen der Autorin an den Lektor, S. 8.<br />

52 Marianne Fritz, ebenda.

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