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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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234 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

»Sprachliche Zeichen [...] sind nicht nur linguistisch (wie durch Dialekte,<br />

Soziolekte, I<strong>di</strong>olekte usw.) geprägt, sie sind darüber hinaus<br />

eingebettet in einen politischen, moralischen, ideologischen und<br />

ökonomischen Kontext miteinander konkurrierender Episteme.« 96<br />

So möchte ich behaupten, dass <strong>di</strong>e Texte Marlene Streeruwitz’ (aber<br />

auch <strong>di</strong>e der beiden Autorinnen Evelyn Schlag und Marianne Fritz, trotz<br />

der thematischen und sprachlichen Unterschiede) sich als <strong>di</strong>alogische Literatur<br />

erweisen: während monologische Texte <strong>di</strong>e soziale Redevielfalt homogenisieren<br />

und autoritär auf eine dominante Stimme einengen, ist polyphonische<br />

Literatur demokratisch, indem sie Meinungsvielfalt widerspiegelt.<br />

Die Heteroglossie reduziert natürlich <strong>di</strong>e Welt im Werk durch semantische<br />

(d. h. durch <strong>di</strong>e Wortwahl) und syntaktische (hier durch <strong>di</strong>e Parataxe<br />

und <strong>di</strong>e Ellipse) Selektion und durch <strong>di</strong>e narrative Struktur.<br />

Im Roman Verführungen. wird <strong>di</strong>e narrative Struktur zwar von der Perspektive<br />

der Hauptfigur Helene entwickelt, aber im textuellen Umfeld tauchen<br />

immer wieder <strong>di</strong>e Stimmen der Anderen auf, und das erlaubt gerade<br />

<strong>di</strong>e freie erlebte Rede:<br />

»Professor Sölders sagte Helene <strong>di</strong>ese Sätze, als wäre sie ein liebes<br />

kleines Kind und müßte unterwiesen werden. Gedul<strong>di</strong>g dozierte er<br />

vor sich hin. Die dunkelhaarige Frau kam herein. Ob der Professor<br />

etwas bräuchte? Lächelnd verneinte der Mann und fuhr fort. Helene<br />

füllte 7 Seiten mit seinen Aussprüchen. Sie bedankte sich für <strong>di</strong>e<br />

Mühe, <strong>di</strong>e er sich gemacht hatte.« (Verf., S. 47)<br />

In <strong>di</strong>eser einzigen Passage ist es möglich, drei Stimmen zu „hören“: <strong>di</strong>e<br />

des Professors, <strong>di</strong>e der zuhörenden Helene, mit welcher sich der Leser/<strong>di</strong>e<br />

Leserin identifizieren kann, und <strong>di</strong>e der dunkelhaarigen Frau.<br />

Auch im Roman Lisa’s Liebe. werden <strong>di</strong>e Aussagen der anderen auf der<br />

erzählerischen Ebene wiedergegeben und es kommt auf den Leser/<strong>di</strong>e<br />

Leserin an, <strong>di</strong>e Konnotationen und <strong>di</strong>e Wirkung <strong>di</strong>eser ursprünglich ausgesprochenen<br />

und dann im Gedächtnis Lisas gespeicherten Sprechakte zu<br />

rekonstruieren:<br />

»Ihre Mutter war immer ungnä<strong>di</strong>g gewesen. Lisa hatte es nicht richtig<br />

machen können. Daran war nichts zu ändern gewesen. Lisas Mutter<br />

wollte Männer.« (L. L., 1. Folge., S. 91)<br />

96 Vgl. dazu den Artikel über „Heteroglossie“ im Band Metzler Lexikon Literatur- und<br />

Kulturtheorie (1998), S. 211.

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