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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 177<br />

abscheuung des Leben<strong>di</strong>gen von Seiten des weisen Mütterchens bzw. der<br />

Festung, <strong>di</strong>e sie darstellt. Berta, <strong>di</strong>e Wilhelm noch umarmen möchte, <strong>di</strong>e<br />

einen hohen Wert auf <strong>di</strong>e Zärtlichkeit und <strong>di</strong>e Gefühle legte, wird also<br />

zum Symbol der weiblichen, sinnlichen, materiellen Natur und gerade als<br />

Natur, als Materie, als Sexualwesen muss sie „geheilt“ werden.<br />

»Aber <strong>di</strong>ese [...], <strong>di</strong>e sich jedem in <strong>di</strong>e Arme warf, hatte es schon fertiggebracht,<br />

<strong>di</strong>e von Ewigkeit zu Ewigkeit gespannte Zeit zu einer schweren<br />

Last zu degra<strong>di</strong>eren. Die Alte entschied sich, Berta auf <strong>di</strong>esen<br />

skandalösen Tatbestand aufmerksam zu machen.« (S.V., S. 32-33)<br />

Der Wille zum Leben, <strong>di</strong>e Sehnsucht als Élan vital, als Lebensimpuls,<br />

muss erlöschen, damit Ruhe statt Unruhe, Ordnung statt Unordnung,<br />

Stille statt Sprechen herrschen können.<br />

Keine Selbstaffirmation, sondern Selbstbezichtigung braucht der Mensch,<br />

und sehr dringend sogar, um »[...] <strong>di</strong>e Götter mild zu stimmen« (S.V., S. 34-<br />

35).<br />

Die Lust wird einfach zur Krankheit reduziert, worüber ein Bannspruch<br />

zu sprechen ist, damit keine Schuld auf menschliche Schultern mehr geladen wird,<br />

damit keine Hoffnung mehr entsteht, eine Selbstverwirklichung im Diesseits<br />

zu erreichen:<br />

»Ohne Zweifel. Das Leben besucht Berta. Berta Schrei. Und das Leben,<br />

wir wissen es doch, nicht wahr, liebe Berta? Wir wissen es. Das<br />

Leben ist eine Hoffnung und <strong>di</strong>e Hoffnung ist eine Wunde. Ohne<br />

Zweifel. Der Kreis schließt sich. So ist es doch?« (S.V., S. 34)<br />

In ihrer Erzählung über eine logoexzentrische Frau und ihr Scheitern an<br />

der brutalen Gleichgültigkeit der Gesellschaft entlarvt Marianne Fritz <strong>di</strong>e<br />

mehr oder weniger subtilen Mechanismen, <strong>di</strong>e den Primat des Logos über<br />

<strong>di</strong>e Natur-Materie festsetzen, wobei der Leib als chaotisches Prinzip verurteilt<br />

wird, wie <strong>di</strong>e Phantasie und <strong>di</strong>e Intuition zurück treten müssen,<br />

wenn es darum geht, <strong>di</strong>e Realität zu modellieren: Anpassung und Unterwerfung<br />

werden als Tugenden geschätzt, Innovation und Erneuerung gefürchtet<br />

und gebannt.<br />

Und <strong>di</strong>ese logozentrische Einstellung zur Welt, <strong>di</strong>ese logozentrisch gesinnte<br />

pragmatisch-semiotische Zugangsweise zur Realität wird eben durch<br />

<strong>di</strong>e Sprache festgeschrieben, durch den leeren, verfeinerten „Glanz“ der<br />

„glatten Sätze“, <strong>di</strong>e keine Sprengkräfte haben und deswegen auch keinen<br />

Blick-Richtungs-Wechsel erlauben.

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