Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 203<br />
»[...] das eine, das männliche, hat gesprochen, hat benannt, hat sich<br />
als Subjekt gesetzt; das andere, das weibliche (das je andere des<br />
männlichen), wurde zum Objekt und Thema des Diskurses gemacht,<br />
auf das männliche zurückgeführt, demselben und Einzigen assimiliert<br />
und darin aufbewahrt.« 33<br />
In den Bereichen, wo es um Denken geht, wie in den Naturwissenschaften<br />
und in der Philosophie, betont <strong>di</strong>e Autorin, tritt das Problem des<br />
Neutrums auf, als <strong>di</strong>e Erfordernis der Wahrheit und der Objektivität, <strong>di</strong>e<br />
gleichbedeutend sind mit ihrer Neutralität im Hinblick auf das Geschlecht<br />
der sprechenden Subjekte. Aber <strong>di</strong>ese Abstraktion hat sich auf <strong>di</strong>e Frauen<br />
„niedergeschlagen“, ist nicht ein Produkt des weiblichen Geschlechts.<br />
Deshalb dürfen und müssen wir (denkende Subjekte, Frauen und Männer)<br />
fragen:<br />
»Wenn der Abstraktionsvorgang in <strong>di</strong>eser Form stattgefunden hat,<br />
wenn <strong>di</strong>e Abstraktion ein Werk des männlichen Subjekts ist und von<br />
<strong>di</strong>esem innerhalb des nur von seinem eigenen, selben Standpunkt her<br />
entworfenen Horizonts geleistet worden ist – was garantiert uns<br />
dann, daß ihr Resultat für <strong>di</strong>e Frauen ebenso günstig ist?« 34<br />
Der Aufsatz nimmt also Stellung, was <strong>di</strong>e Sprache der Philosophie betrifft,<br />
<strong>di</strong>e nach dem Muster der binären Logik, der Logik des Gegensatzes<br />
(ja/nein, drinnen/draußen, gut/böse, richtig/falsch, sein/nicht sein und<br />
des ausgeschlossenen Dritten (Neutrums) gegangen ist. In der gegenwärtigen<br />
Reflexion wird daher vorgeschlagen, das Neutrum als Rest, als das<br />
vom Diskurs ausgeschlossene, abwesende Dritte wiederzudenken, als<br />
Möglichkeit, eine Gegenseitigkeit vorzuschlagen, <strong>di</strong>e den Gegensatz zwischen<br />
den Geschlechtern abbauen könnte.<br />
»[...] <strong>di</strong>ese Abwesenheit hat sich geschichtlich im weiblichen Schweigen<br />
niedergeschlagen; <strong>di</strong>eses Schweigen brachte zum Ausdruck, daß<br />
<strong>di</strong>e beiden hinsichtlich des Geschlechts entgegengesetzten Möglichkeiten<br />
nicht den gesamten Bereich des Möglichen ausschöpften.« 35<br />
Was der Sprache immer gefehlt hat (denken wir auch nur an Konventionen,<br />
<strong>di</strong>e allgemein verwendet werden, um das kollektive Subjekt zu bezeichnen:<br />
der Leser, sagt man, der Interpret, usw.), war nämlich <strong>di</strong>e Mög-<br />
33 Wanda Tommasi, Die Versuchung des Neutrums, S. 115.<br />
34 Wanda Tommasi, Die Versuchung des Neutrums, S. 105.<br />
35 Wanda Tommasi, S. 115.