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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 111<br />

Mit <strong>di</strong>esem Satz bekennt er seine Entschlossenheit, gibt vor aller Welt –<br />

<strong>di</strong>e aus einem namenlosen Taxifahrer bestand – zu, dass er etwas über sie erfahren<br />

will.<br />

Joachim hat ein für allemal eine Bezeichnung für Gudrun festgestellt:<br />

»Sie war <strong>di</strong>e Österreicherin.« (U.F., S. 37)<br />

In <strong>di</strong>eser Bezeichnung drückt der Mann durch <strong>di</strong>e Antonomasie <strong>di</strong>e<br />

hinreißende Anziehungskraft der Frau aus: mit seinem Wort gibt er zu,<br />

dass er sich zu ihr als etwas Fremdem und Unbekanntem hingezogen<br />

fühlt. Spontan taucht <strong>di</strong>e Frage auf, ob <strong>di</strong>ese Bezeichnung als ein Hinweis<br />

auf eine Welt des Wünschenswerten, des wahren Lebens, der hinreißenden<br />

Sinnlichkeit gelten kann, ob Gudrun für <strong>di</strong>esen Mann <strong>di</strong>e Lebenslust<br />

darstellt oder besser etwas, das als Élan vital bezeichnet wird, das einfach<br />

„Lebensimpuls“ an sich bedeutet.<br />

Beim ersten Gespräch reden Gudrun und Joachim über <strong>di</strong>e „mysteriöse“<br />

weibliche Psyche, <strong>di</strong>e für beide hingebungsvoll, leidenschaftlich ist,<br />

denn »Frauen gehen nur über Personen an Wissen heran«, während <strong>di</strong>e<br />

Männer – wenn nicht gefühllos – eher sachliche Interessen entwickeln. (U.F., S.<br />

46)<br />

Das Verhältnis zwischen den beiden entwickelt sich durch ihr Erzählen<br />

und sein tröstendes Zuhören. Vertrauen hat sie sofort, von der ersten Begegnung<br />

an, zu dem noch fremden Joachim gefasst, wegen seiner Art und<br />

Weise, <strong>di</strong>e Worte behutsam, verantwortungsvoll zu verwenden.<br />

»Das Wort Schicksal bekam neuen Sinn, wenn er so behutsam Möglichkeiten<br />

nebeneinanderstellte. So als überlasse er es der Person, sich<br />

auszusuchen, wie über sie gesprochen werden solle. Sie hatte das<br />

Gefühl, er könne niemanden verletzen. Sie wünschte sich, er würde<br />

sie besser kennen und jemandem von ihr erzählen.« (U.F., S. 42)<br />

Auf einer Party wird über den Selbstmord gesprochen: durch eine<br />

Stelle, an <strong>di</strong>e sich beide erinnern und <strong>di</strong>e sie in Virginia Woolfs Tagebüchern<br />

wiederzufinden versuchen, fällt Gudrun auf, dass sie in <strong>di</strong>esem Zitat auch<br />

<strong>di</strong>e verstorbene Freun<strong>di</strong>n Ly<strong>di</strong>a, <strong>di</strong>e sich wegen der unglücklichen Liebe zu<br />

einem verheirateten Wiener Arzt umbrachte, wieder hören kann.<br />

» ›Es ist seltsam‹, sagte sie. ›Ich habe plötzlich das Gefühl, ich kenne<br />

das noch von woanders her. Eben vorhin hat mich deine Hand an<br />

jemanden erinnert, an den ich schon Jahre nicht mehr gedacht habe.<br />

Und jetzt ist es <strong>di</strong>ese Stelle bei Virginia Woolf. Es ist Ly<strong>di</strong>a, <strong>di</strong>e ich<br />

darin höre. Es ist Ly<strong>di</strong>a.‹ « (U.F., S. 57)

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