Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 147<br />
Wenn sie dagegen im Sinne unserer Konvention als Frau redet und<br />
„harmlose“ Beiträge liefert, denn sie will sich „weiblich“ verhalten,<br />
»[...] ist feminin, d.h. liebenswür<strong>di</strong>g, charmant, unsicher und hilflos,<br />
dann wird sie nicht ernst genommen und braucht nicht gehört zu<br />
werden.« 26<br />
Wilhelm anerkennt nämlich <strong>di</strong>e zweite Frau als Mannweib, als er den<br />
Mut findet, sie folgendermaßen zu apostrophieren: »Und merke auf, du<br />
vorbildlicher Kalkulant!« (S.V., S. 20). Da im Deutschen <strong>di</strong>e Substantive<br />
grundsätzlich genusfest sind, so ist nicht zu vermuten, dass Wilhelm das<br />
Denotat <strong>di</strong>eser Bezeichnung (Adjektiv-Substantiv) geschlechtsneutral gebraucht:<br />
aus seinem Unbewussten steigt <strong>di</strong>e Überzeugung auf, dass <strong>di</strong>e<br />
neue Frau eigentlich eine männliche Subjektivität hat, <strong>di</strong>e alles aus Kalkül<br />
plant und ausführt. Zur gleichen Zeit will er aber <strong>di</strong>ese für ihn potentiell<br />
gefährliche Subjektivität beschwören, indem er das Adjektiv „vorbildlich“<br />
sorgfältig wählt, um das Potential des Substantivs zu mildern, das eine<br />
sensiblere Person eigentlich als Belei<strong>di</strong>gung erfahren könnte.<br />
In den Augen Wilhelms erblickt der Leser/<strong>di</strong>e Leserin <strong>di</strong>e wahre Natur<br />
Wilhelmines, wie sie im Text konstituiert ist, anhand der von ihr und von<br />
anderen Figuren ausgesprochenen Worte, und (etwas weniger) infolge der<br />
Beschreibung ihrer Taten.<br />
Abgesehen von den mehr oder weniger bewussten bösen Absichten<br />
Wilhelmines, <strong>di</strong>e sicher nicht unterschätzt werden sollten, inszeniert hier<br />
<strong>di</strong>e Autorin als Urheberin der Fiktion das Thema der Sprachgewalt, der Gewalt,<br />
<strong>di</strong>e einzelne Worte oder ganze Aussagen ausüben, als illokutionäre<br />
Akte, welche – auf dem Gebiet des textuellen Umfeldes – ihre Wirkung<br />
auf <strong>di</strong>e Handlung ausüben, als übertriebene und ironisch gefärbte Widerspiegelung<br />
der außertextuellen Wirklichkeit.<br />
Wenn wir annehmen, dass unsere Identität konstituiert bzw. bestätigt<br />
wird durch unsere Umwelt, durch <strong>di</strong>e Gesten und <strong>di</strong>e Worte der anderen,<br />
der Männergesellschaft, Frankfurt/M.: Lang, 1990, S. 146. Dazu erklärt Michael Hausherr-<br />
Mälzer, dass <strong>di</strong>e Tatsache, dass Frauen <strong>di</strong>e Norm brechen – d.h. beim Sprechen alles andere<br />
als höfliche Sprachmuster benutzen – kein Zeichen für einen höheren (im Sinne von<br />
„männlichen“) Status ist, im Gegenteil: »[...] weibliche Varianten, gleichgültig, in welche<br />
Richtung sie zielen, werden als Abweichung von der männlichen Norm, damit als minder<br />
bewertet, wenn auch [...] als gelegentlich nützlich angesehen.« Ebenda.<br />
26 Ebenda. Michael Hausherr-Mälzer bezieht sich hier auf <strong>di</strong>e Arbeiten von Senta<br />
Trömel-Plötz, insbesondere auf den Band Gewalt durch Sprache. Die Vergewaltigung von<br />
Frauen in Gesprächen, Frankfurt/M.: Fischer, 1984.