Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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64 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
In ihrem Werk Nicht ich zeigt Christina von Braun, 40 wie in der abendlän<strong>di</strong>schen<br />
Kultur <strong>di</strong>e Unterscheidung zwischen einem „großen ICH“ und<br />
einem „kleinen ich“ gelte.<br />
In <strong>di</strong>eser Interpretation sei das große ICH ein Abstraktum, das der<br />
Phantasie der Vollstän<strong>di</strong>gkeit entspricht, doch es kann zugleich ganz reale<br />
Formen annehmen, kollektive, gesellschaftliche Dimensionen haben: »etwa<br />
in der Armee, dem Staat oder der „Masse“, denen das kleine ich sich unterzuordnen,<br />
ja in denen es aufzugehen hat.« 41 Mit dem „kleinen ich“ wird eine<br />
andere Perspektive definiert, das für den einzelnen oder auch für <strong>di</strong>e Kollektivität<br />
dem Bewusstsein der eigenen Unvollstän<strong>di</strong>gkeit entspricht. Als<br />
kleines ich wird daher eine andere Bewusstseinsform angedeutet, <strong>di</strong>e imstande<br />
und bereit dazu ist, sich mit der eigenen Sterblichkeit, mit dem<br />
Unbewussten, dem Unheimlichen, dem Nichtidentischen, mit den intimsten<br />
Wünschen zu konfrontieren. Diese Emotionen, <strong>di</strong>ese Wünsche entspringen<br />
aus der sinnlichen Wahrnehmung und tragen dazu bei, ein freieres,<br />
neues Selbstbild zu schaffen.<br />
In der Literaturanalyse beschäftigt man/frau sich mit der Sprache, <strong>di</strong>e<br />
bestimmte Welten und Konzeptionen konturiert: Ausgehend von der<br />
poststrukturalistischen Theorie, werden <strong>di</strong>e Subjekte als Produkte sprachlicher<br />
Strukturen repräsentiert. Wenn wir folglich <strong>di</strong>e Subjektkonstitution<br />
untersuchen wollen, müssen wir uns gerade mit der verbalen und der<br />
nonverbalen (d.h. der Körpersprache) Kommunikation beschäftigen. 42<br />
Das so genannte kleine ich, das Bewusstsein des/der Einzelnen kann<br />
sich oft nicht ganz und gar den Regeln, den Erwartungen, der sozialen<br />
Kontrolle durch das große ICH, also den gesellschaftlichen Strukturen, der<br />
kollektiven Mentalität, den Anforderungen der Institutionen anpassen.<br />
Wenn <strong>di</strong>e Rebellion des Einzelnen, Mann oder Frau, sich nicht <strong>di</strong>rekt und<br />
offenbar manifestiert, wenn <strong>di</strong>ese Sensibilität keinen Widerstand leisten<br />
kann und statt der Anpassung <strong>di</strong>e Unterwerfung wählt, dann wird der<br />
Schmerz, das Unbehagen, <strong>di</strong>e Revolte den einzigen Ausweg in der subversiven<br />
Unterwanderung durch <strong>di</strong>e Hysterie finden, denn <strong>di</strong>e Hysterie lässt ja<br />
den Körper endlich sprechen, indem sie Worte in Symptome verwandelt.<br />
Im Prozess des Schreibens hat man/frau aber <strong>di</strong>e Möglichkeit, in <strong>di</strong>e ent-<br />
40 Christina von Braun, Nicht ich: Logik, Lüge, Libido, S. 14.<br />
41 Christina von Braun, ebenda.<br />
42 Den Hinweis darauf sowie auf <strong>di</strong>e Bewusstseinsform der spiegelbildlichen Vorstellungswelt<br />
verdanke ich Rosemarie Lederer und natürlich dem Buch Christina von<br />
Brauns.