Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 243<br />
richtig. Die warme Luft auf der bloßen Haut. Die Kinder hüpften im<br />
seichten Wasser und quietschten. Sie würden gelaufen kommen. Alles<br />
naß machen und das Essen aus der Tasche reißen.« (Verf., S. 272)<br />
Nach und nach gelingt es Helene, sich zu beruhigen und <strong>di</strong>e Angst<br />
auszulöschen:<br />
»Das Schilf hinter ihr raschelte in kleinen Brisen. Helene dachte.<br />
Sagte sich vor, wie wunderbar alles war. [...] Und keine Angst. Sie<br />
hatte keine Angst. Ganz kurz gelang es. Der Körper antwortete auf<br />
<strong>di</strong>e Worte. Helene schwebte.« (Verf., S. 273)<br />
In ihren Aussagen hat Marlene Streeruwitz oft <strong>di</strong>e Abwesenheit eines<br />
Informationsflusses zwischen Müttern und Töchtern bereut: wenn nötig,<br />
ist es besser sich an eine „Ersatzmutter“ zu wenden, als wortlos, im Dunkeln<br />
und in der Verzweiflung zu bleiben.<br />
Nur der Informationsaustausch, der Austausch von Worten und Gesten<br />
zwischen Müttern und Kindern kann <strong>di</strong>e Befürchtungen, <strong>di</strong>e Angst, <strong>di</strong>e<br />
Demütigung zerstreuen und zu Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit erziehen,<br />
was <strong>di</strong>e vom Logos geregelte Gesellschaft immer wieder zu vermeiden<br />
versucht, nach einem Muster, das schon einmal in der Vergangenheit<br />
akkurat ausgeführt wurde:<br />
»In den Hexenverfolgungen wurden <strong>di</strong>e letzten Frauensprachen zu<br />
<strong>di</strong>esem Bedeutungskreis systematisch zerstört und der Informationsfluß<br />
zwischen Müttern und Töchtern endgültig unterbrochen.« 102<br />
So versteht der Leser/<strong>di</strong>e Leserin, warum es so wichtig ist, für <strong>di</strong>e Integrität<br />
des Menschen, nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer als<br />
Söhne der Mütter, dass Frauen das Wort ergreifen und auch den Körper<br />
zum Thema machen. Nicht nur aus Geist besteht der Mensch, in primis aus<br />
Blut und Fleisch, und <strong>di</strong>ese Erkenntnis muss sich auch in der Sprache<br />
widerspiegeln, wie es schon einmal, „zur Zeit der Hexen“, geschah:<br />
»Es gab also einmal eine Frauensprache, in der <strong>di</strong>e Fragen der Fortpflanzung<br />
und Sexualität besprochen werden konnten. Und Lösungen<br />
zu finden waren.« 103<br />
Was <strong>di</strong>e unentbehrliche Funktion der Mutter für eine gelungene weibliche<br />
Selbstidentifikation in philosophischer und sprachlicher Hinsicht betrifft,<br />
in Bezug auf das unzertrennliche Verhältnis von Sprechen und<br />
102 Marlene Streeruwitz, Sein. Und Schein. Und Erscheinen., S. 28.<br />
103 Marlene Streeruwitz, ebenda.