Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 231<br />
den werden. Und gedacht. Kein Gott, Kaiser oder Vaterland erle<strong>di</strong>gt<br />
das für einen.« 87<br />
Diese Freiheit erlebt Helene, nachdem ihr <strong>di</strong>e Rolle als Ehefrau zerbrochen<br />
ist. Und als Frau ist sie sich der Verantwortung <strong>di</strong>eser von ihr am<br />
Anfang gar nicht ersehnten Freiheit bewusst, indem sie in der Lage ist, alte<br />
Blickrichtungen zu vermeiden und trotzdem neue entwerfen zu müssen<br />
für <strong>di</strong>e eigenen Kinder. Die Kinder, so hat man bemerkt, könnten ein<br />
Hindernis auf dem Weg zur ihrer persönlichen Freiheit sein, 88 trotzdem<br />
findet sie gerade in dem körperlichen und geistigen Verbundensein mit<br />
<strong>di</strong>esen Körpern, <strong>di</strong>e sie „geschaffen“ hat, den Aufschwung, um sich selbst<br />
und <strong>di</strong>e Kinder in <strong>di</strong>e rücksichtslose Freiheit der Welt mit einer genügend<br />
stabilen „Rüstung“ zu projizieren.<br />
Helene ist Mutter und Frau zur gleichen Zeit, als solche symbolisiert sie<br />
das Paradoxon unseres Lebens, für das ein akzeptables Gleichgewicht<br />
zwischen Lustprinzip und Realitätsprinzip zu finden ist:<br />
»Natürlich sind passion und devoir (Leidenschaft und Müssen) weiterhin<br />
<strong>di</strong>e Klüfte, zwischen denen wir unser Leben durchschiffen müssen,<br />
und an denen oder am Zufall zu zerschellen ist genausowenig<br />
schwierig wie je.« 89<br />
Mit allen üblichen Sehnsüchten „ausgestattet“, erfährt Helene, wie<br />
schwierig es ist, zum Beispiel als Sexualwesen befrie<strong>di</strong>gende Erfahrungen<br />
zu machen oder <strong>di</strong>e Zerstörung des Mythos der „besten Freun<strong>di</strong>n“ nach<br />
dem Verrat Püppis zu akzeptieren, sie erlernt allmählich das Glück Stück<br />
für Stück zu suchen, ihr „jetzt“, hic et nunc zu besehen und zu besagen:<br />
»Wenn sich unsere Leben in sich und im Rahmen des und der sie<br />
Umgebenden erfüllen müssen, so ist es nicht mehr <strong>di</strong>e Einfrierung in<br />
den einen immerwährenden Augenblick, <strong>di</strong>e gesucht werden muß<br />
[...]. Dann geht es um <strong>di</strong>e – im Märchen immer präsente – anarchische<br />
Suche nach einem Glück.« 90<br />
87 Marlene Streeruwitz, Sinn & Sein. Und <strong>di</strong>e Beobachtung der Beobachtung. In: Und. Sonst.<br />
Noch. Aber. Texte. 1989-1996, S. 79-87.<br />
88 Von einem typischen „double-blind“ spricht Marlene Streeruwitz in Bezug auf <strong>di</strong>e<br />
ambivalente Beziehung Helenes zu den Kindern, u. a. auch im zitierten Interview mit<br />
Sabine Haremberg.<br />
89 Marlene Streeruwitz, Passion. Devoir. Kontingenz. Und keine Zeit. In: Und. Sonst. Noch.<br />
Aber. Texte. 1989-1996, S. 24.<br />
90 Marlene Streeruwitz, Passion. Devoir. Kontingenz. Und keine Zeit., S. 26.