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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 121<br />

selbst stellt, folgt <strong>di</strong>e genaue Beschreibung ihrer typisch weiblichen Gesten,<br />

mit der <strong>di</strong>e Frau sich der eigenen In<strong>di</strong>vidualität vergewissern will:<br />

»Sie sah sich im Spiegel ins Gesicht, strich sich <strong>di</strong>e Haare zurück, zog<br />

<strong>di</strong>e Augenbrauen mit einem Finger in Form. Kinn höher.« (U.F., S. 86)<br />

Bevor sie sich eine Erklärung als Hypothese gibt, muss sie ihr Körpergefühl<br />

erwecken, muss sich im Spiegel betrachten, wer sie ist, muss den<br />

Mut finden, eine Bestätigung der eigenen Potentialität, der Form herauszusuchen.<br />

Die Form, das äußere Erscheinen, <strong>di</strong>e den Wert der Frau im Auge<br />

des Mannes definiert, <strong>di</strong>e körperliche Zurechtfindung, <strong>di</strong>e sich so wichtig<br />

auswirkt, um dann zu wagen, sich selbst vor der Welt zu behaupten. Erst<br />

nach <strong>di</strong>esen Ritualen, <strong>di</strong>e zur Vergewisserung des weiblichen Ichs <strong>di</strong>enen,<br />

ist sie imstande eine Antwort zu finden:<br />

»Man müßte lernen, <strong>di</strong>e Lebensspuren, <strong>di</strong>e einer hinterläßt, zu lesen<br />

als Reaktionen auf das geheime unsichtbare Leben – oder <strong>di</strong>e vielen<br />

geheimen Leben, <strong>di</strong>e Unruhen, <strong>di</strong>e unter einem Vorwand zum<br />

Schweigen gebracht wurden.« (U.F., S. 86)<br />

Im Dialog zwischen Linda und Widmer wird weiter <strong>di</strong>e Möglichkeit<br />

besprochen, eine Biographie zu schreiben und vor allem, den richtigen<br />

Anfang zu finden.<br />

Widmer behauptet Folgendes, als rhetorische Frage, <strong>di</strong>e er an sich<br />

selbst richtet, obwohl er mit Linda spricht:<br />

» ›Sie werden sich fragen: Warum macht man das überhaupt? Warum<br />

opfert man soviel Lebenszeit, um <strong>di</strong>e Lebenszeit eines anderen abzuschreiten,<br />

herauszufinden, was <strong>di</strong>esen Menschen – <strong>di</strong>esen zugegebenermaßen<br />

außerordentlichen Menschen – bewegt hat? [...]‹ «<br />

(U.F., S. 91)<br />

Warum ist also der Versuch so wichtig, sich mit Hilfe der Sprache und<br />

der Schrift dem Leben eines Fremden zu widmen, während <strong>di</strong>e eigene Zeit<br />

vergeht und das eigene Leben auf einer bestimmten Bahn rollt?<br />

Der deutsche Wissenschaftler Hermann Widmer reflektiert bewusst<br />

über den Sinn der eigenen Tätigkeit, indem er plötzlich und ganz überraschend<br />

gezwungen wird, sich mit den außerliterarischen Faktoren zu beschäftigen:<br />

» ›[...] ... wozu braucht man das Leben, wenn man das Werk hat?‹ «<br />

(U.F., S. 92)

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