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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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262 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

mandem zu tun haben durften, der in der Siedlung wohnte [...].« S. 14), mit<br />

unehelicher Tochter und sogar unehelichem Enkelkind (das dem kleinen<br />

Mädchen „rasante Sachen“ zu erzählen wusste, aber »[...] es war uns strengstens<br />

untersagt, Sigi auch nur Guten Tag zu sagen, weil meine Mutter befürchtete,<br />

daß seine Debilität ansteckend und gefährlich sein könnte.«,<br />

Ebd.) Diese sonderbare Oma, <strong>di</strong>e das Enkelkind selbst mit gewissem Stolz<br />

als „Hexe“ bezeichnet, entlarvt sich durch eine kleine, mysteriöse Geste, und<br />

ein ebenfalls mysteriöses, rätselhaftes Wörtchen:<br />

»Sie gab mir ein Schüsselchen mit einem verquirlten Ei. In dem Ei<br />

waren Haferflocken verrührt. Dann sagte sie Katzkatzkatz, und ich<br />

durfte das Haferflockenei vor <strong>di</strong>e Katze stellen.« (Hexenreden, S. 15)<br />

Der „beschä<strong>di</strong>gte“ Ausdruck der Frau Köhler wirkt rätselhaft in den<br />

„verzauberten“ Augen des Mädchens, weil das Wörtchen ihm so evident<br />

im Gegensatz zur klaren, präzisen, eindeutigen Redeweise ihrer Ordnung<br />

sowie sensus communis verkörpernden Mutter zu stehen scheint, <strong>di</strong>e trotz der<br />

Portion sozialistischen Realismus kein Mitgefühl für <strong>di</strong>ese „aus-der-Ordnung-verbannten“<br />

Leute empfindet. Und <strong>di</strong>e Geste hat auch eine praktische<br />

Folge, indem sie dem Mädchen den Mut gibt, sich endlich um ein<br />

Tier kümmern zu können:<br />

»Aber sie zeigte mir nur ein Versteck für mein Kätzchen. Es war nicht<br />

im Kohlenkeller, aber ich sage nicht, wo es war.« (Hexenreden, S. 15)<br />

So gelten auch andere weibliche Figuren in der Existenz der Ich-Erzählerin<br />

später als Inbegriff des „Hexischen“, da sie Eigenschaften wie<br />

Auffälligkeit, Intelligenz, (siehe <strong>di</strong>e „sehr intelligente“ Schullehrerin mit langen<br />

schwarzen Haaren und langen lila Fingernägeln), Außergewöhnlichkeit in<br />

Worten und Gesten aufweisen und auf <strong>di</strong>e allgemein geltenden, sprachlich<br />

im Diskurs formulierten Vorurteile stoßen:<br />

»Meine Mutter sagte, das widert mich an, wie <strong>di</strong>ese Leute leben, und <strong>di</strong>e<br />

Fingernägel, <strong>di</strong>e sie haben, so lang und lila [...].« (Hexenreden, S. 16)<br />

Auf <strong>di</strong>e Schwerkraft der Einwendungen reagieren sie stolz und selbstsicher,<br />

und sie gehen unbeirrbar auf ihrem merkwür<strong>di</strong>gen Weg weiter, wie<br />

<strong>di</strong>e zu intelligente, zu viel rauchende Lehrerin:<br />

»Als wir mit Fontane durch waren und gerade zu Jandl kamen,<br />

kriegte sie ein Kind. Einen Vater gab es keinen zu <strong>di</strong>esem Kind, aber<br />

das Kind war so schön, daß klar war, es muß ein Hexenkind sein.«<br />

(Hexenreden, S. 16)

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