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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 213<br />

nisse tragen dazu bei, <strong>di</strong>ese Antibeziehungen zu solchen Antihelden zu unterbrechen:<br />

»Lisa fiel immer erst wieder ein, daß sie Knobloch hätte sagen müssen,<br />

daß sie ihn nicht mehr treffen wollte, wenn sie wieder in ihren<br />

Wagen einstieg. Lisa nahm sich dann jedes Mal vor, es ihm das<br />

nächste Mal sicher zu sagen.« (L. L., 1. Folge, S. 23)<br />

In der Schule sind <strong>di</strong>e Kinder besonders laut bei ihr, und sie muss oft<br />

am Nachmittag „Kanzleiarbeit“ erle<strong>di</strong>gen:<br />

»Die Direktorin teilte Lisa dafür ein, und Lisa wußte nicht, wie sie<br />

nein sagen sollte.« (L. L., 1.Folge, S. 35)<br />

Sich selbst ausgesetzt, unfähig auf <strong>di</strong>e Einteilungen der Direktorin zu<br />

reagieren, kann Lisa keine „aktive“ Lösung finden und bleibt weiter von<br />

ihrer Esssucht abhängig, um ein Gefühl von Eigenstän<strong>di</strong>gkeit zu bekommen:<br />

<strong>di</strong>e Sucht bedeutet aber wieder <strong>di</strong>e Akzeptanz und fast <strong>di</strong>e existentielle<br />

Notwen<strong>di</strong>gkeit der Abhängigkeit, also der Wiederholung eines von<br />

Kindheit an erlernten Grundmusters:<br />

»Gegen <strong>di</strong>e Unrast, <strong>di</strong>e aufstieg, wenn sie im Büro bleiben mußte,<br />

half nur essen.« (L. L., 1. Folge, S. 35)<br />

Ganz genau werden <strong>di</strong>e Rituale der Einsamkeit und der Verzweiflung<br />

zelebriert:<br />

»Zu Beginn des Sommers war wieder alles besser. Lisa war <strong>di</strong>ck geworden.«<br />

Das Problem des Essens kommt zu den anderen hinzu und erschwert sie:<br />

»Jeden Abend berechnete sie, wie viele Kalorien sie am Tag zu sich<br />

genommen hatte, und plante <strong>di</strong>e Speisenfolge für den nächsten Tag.<br />

Die Kalorientabelle trug sie immer bei sich. [...] Der Hunger auf Süßes<br />

kam erst später in der Nacht.« (L. L., 1. Folge, S. 40)<br />

Lisa hätte den großen Wunsch, ein Kind zu bekommen. Aber sie kennt<br />

keinen passenden Mann dazu: wieder versucht sie <strong>di</strong>e Selbstverwirklichung<br />

durch das Äußere. Aber im Innersten ist sie ja auch zu sensibel: <strong>di</strong>e Begegnung<br />

mit einem kranken Kind, das nicht zurücklächeln kann, berührt sie:<br />

»Lisa weinte zu Hause lange. Sie war sicher, <strong>di</strong>eses Kind war noch nie<br />

von jemandem angelächelt worden.« (L. L., 1. Folge, S. 41)<br />

Seit der Kindheit hat sie eine aktive Einstellung zum Leben weder<br />

formuliert noch entwickelt, nur ein langsames Dahin gewünscht.

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