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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 55<br />

»Natürlich erlebe ich <strong>di</strong>e Welt als Frau anders als ein Mann. Aber irgendwo<br />

auf dem Weg von <strong>di</strong>esem Erleben und Beobachten zum Beschreiben<br />

und Erfinden wird <strong>di</strong>eser Unterschied irrelevant. Natürlich<br />

gebe ich meinen Frauenfiguren bestimmte Erwartungshaltungen mit,<br />

<strong>di</strong>e ein Mann vielleicht nicht hätte ... Aber wer kann das schon so bestimmt<br />

sagen?« 29<br />

Wichtiger erscheint es für Evelyn Schlag, ein Netz von Worten und<br />

Gesten zu weben, essentiell ist für sie das Bewusstsein, allein bei sich zu<br />

sein, während sie schreibt, und trotzdem immer von fernen und nahen<br />

Freunden und Freun<strong>di</strong>nnen begleitet zu werden, immer im Zeichen des<br />

Verweises auf das Gedankengut, auf <strong>di</strong>e Formen, welche <strong>di</strong>e Tra<strong>di</strong>tion der<br />

Weltliteratur produziert hat und <strong>di</strong>e Praxis der Gegenwartsliteratur (insbesondere<br />

der englischsprachigen Lyrik) weiter entwirft:<br />

»Als Tra<strong>di</strong>tion möchte ich vor allem <strong>di</strong>eses Aufeinander-Bezogensein,<br />

<strong>di</strong>ese Kollaboration über Zeit und Raum und persönliche Begegnung<br />

hinaus, begreifen.« 30<br />

Auch <strong>di</strong>e Verwendung von Zitaten, <strong>di</strong>e zum Beispiel im Band Unsichtbare<br />

Frauen besonders auffällt, weist auf <strong>di</strong>e postmoderne Qualität der lyrischen<br />

und narrativen Texte Evelyn Schlags hin, sowie <strong>di</strong>e Lust an der Erfindung<br />

von Sprachspielen und neuen Wörtern („verfragen“ in der Erzählung<br />

Rilkes Lieblingsge<strong>di</strong>cht). Das sind Elemente einer höheren Intertextualität,<br />

<strong>di</strong>e zum Ausdruck bringt, dass <strong>di</strong>e Tra<strong>di</strong>tion kostbar ist, wenn Texte<br />

durch Referenzen auf ihre literarischen Vorläufer zustande kommen können.<br />

31 Aber das Zitieren und <strong>di</strong>e explizite Betonung der Modelle oder einfach<br />

ihrer Seelengeschwister bezeugen vor allem den <strong>di</strong>alogischen Charakter<br />

der Literatur Evelyn Schlags, ihre Dialogizität als Lebensstil und als<br />

Kunstmittel, indem <strong>di</strong>e eigene sprachliche Äußerung sich immer als Teil eines<br />

kommunikativen Prozesses erweist, denn – laut Definition – jegliche<br />

sprachliche Äußerung ist immer ein kommunikativer, dynamischer Prozess,<br />

der als Sprechakt auf den anderen oder andere gerichtet ist und zur<br />

Gegenrede auffordert. 32<br />

29 So Evelyn Schlag im Gespräch mit Ernst Grohotolsky, „Die Wahrnehmungskünstler<br />

und <strong>di</strong>e Kranken“, S. 165.<br />

30 Evelyn Schlag, Der Nachklang allerfremdesten Lebens (2000), o. S.<br />

31 Vgl. dazu den Artikel über „Tra<strong>di</strong>tion“ in Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie<br />

(1998), S. 539: im Artikel wird <strong>di</strong>e lange Geschichte des literaturwissenschaftlichen<br />

Konzepts der Tra<strong>di</strong>tion rekonstruiert.<br />

32 Vgl. dazu den Artikel über <strong>di</strong>e „Dialogizität“ – dt. auch Redevielfalt, Polyphonie,

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