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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 77<br />

auch mit dem eigenen Sohn um. Er erinnert sich jetzt, wie er sich während<br />

Reginas Schwangerschaft auf <strong>di</strong>eses Kind gefreut hatte:<br />

»So sehr, daß er sich gedacht hatte, ›ich werde niemals mehr allein<br />

sein‹. Jetzt erst kam ihm das viel zu frauenhaft vor.« (BR, S. 49)<br />

Da der Sohn Probleme in der Schule hat, fühlt sich der Vater fast gezwungen,<br />

eine männliche Rolle zu spielen, und er macht sich selbst Vorwürfe,<br />

er schämt sich vor jener „fast frauenhaften“ Freude und fragt Martin<br />

nach etwas, das er als „positiv“ bewerten kann. Die Antwort ist aber<br />

verblüffend in ihrer Offenheit. Statt „ordentlich“ Latein zu lernen, arbeitet<br />

der Sohn in einer Drogenstation. Diese Entdeckung verwirrt den Vater,<br />

der plötzlich <strong>di</strong>e Sinnlosigkeit seines Verantwortungsgefühls versteht:<br />

»Sein Sohn eine Bezugsperson für einen Süchtigen! […] Die Verantwortung<br />

– so etwas bedeutete doch eine enorme Verantwortung?«<br />

(BR, S. 50)<br />

Zuerst entbrennt ein Streit zwischen den beiden, aber als der Sohn ihm<br />

vorwirft, sich nicht mehr wirklich für <strong>di</strong>e Familie zu interessieren, beginnt<br />

Brandstetter langsam zu verstehen, dass er nicht schreien oder drohen<br />

muss, sondern vielmehr behutsame, respektvolle Fragen stellen sollte. So<br />

wird er sich des Erwachsenwerdens seines Sohnes bewusst, dessen In<strong>di</strong>vidualität,<br />

<strong>di</strong>e Respekt und Aufmerksamkeit verlangen, damit das Verhältnis,<br />

<strong>di</strong>e Würde beider gewahrt werden kann.<br />

»Martin sprach auf ihn ein, erzählte von einem jungen Burschen, mit<br />

einer Sicherheit –! Was der alles wußte.« (BR, S. 52)<br />

Welche Rolle sollen also <strong>di</strong>e schlechten Noten in Latein, <strong>di</strong>e paar unregelmäßigen<br />

Zeitwörter in der Bilanz <strong>di</strong>eser existentiellen Erfahrung wirklich<br />

spielen? Welche Stellung muss er als Vater zu dem autonomen Verhalten<br />

<strong>di</strong>eses plötzlich erwachsenen Sohnes nehmen?<br />

»Wie berührt man seinen erwachsenen Sohn?« (BR, S. 52)<br />

Die Tra<strong>di</strong>tion, <strong>di</strong>e Gesellschaftsregeln helfen ihm nicht bei <strong>di</strong>eser unerwarteten<br />

Aufgabe. Nach den patriarchalischen Gesetzen müsste der<br />

Vater den Sohn wegen <strong>di</strong>eser Abweichung von der Normalität bestrafen,<br />

ihm strenge Verhaltensregeln <strong>di</strong>ktieren. Im Grunde, erinnert Christina von<br />

Braun zu <strong>di</strong>esem Punkt, haben sich <strong>di</strong>e Väter in der patriarchalischen<br />

Gesellschaftsordnung immer weiter von ihren Kindern entfernt. Der patriarchalischen<br />

Ordnung zuliebe wurde der Kontakt zwischen den Vätern<br />

und ihren Kindern immer geringer, im Sinne der Möglichkeit, Körpernähe

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