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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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58 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

<strong>di</strong>esem Sinn auch verschiedene Leben verwirklichen, mannigfaltige Parallelexistenzen<br />

haben:<br />

»Ich glaube nicht daran, daß es solche Zufälle noch gibt. Ich glaube lieber daran,<br />

daß manche Menschen (wie viele es sind, kann ich beim besten Willen nicht sagen,<br />

weil ich es nicht weiß und es mir auch nicht vorstellen kann) zwei oder vielleicht<br />

sogar mehrere Leben führen [...].« (Nachhilfe, S. 6)<br />

Und zu <strong>di</strong>esem Punkt fügt sie sofort hinzu, dass sie an kein Jenseits, an<br />

keine außerir<strong>di</strong>sche Erlösung denkt: das „falsche Leben“ soll hic et nunc<br />

überwunden werden, denn <strong>di</strong>e Realität bietet uns plötzlich Auswege, unerwartete<br />

Lösungen an:<br />

»[...] nicht so, daß sie nach dem Tod ihres einen Lebens in ein nächstes hinüberwachsen,<br />

sondern im komplementären Sinn. Was uns in einem Leben fehlt,<br />

holen wir uns in anderen ... […].« (Ebd.)<br />

Die Kunst kann <strong>di</strong>ese Schattenseiten, <strong>di</strong>ese Fluchtmöglichkeiten am besten<br />

zeigen. In der italienischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts ist<br />

es Luigi Pirandello, der mehrmals dargestellt hat, wie Menschen unter bestimmten<br />

Umständen den eigenen, bedrückenden, unbefrie<strong>di</strong>genden Lebensumständen<br />

zu entfliehen versuchen, indem sie ihre Projektionen, ihre<br />

intimsten Träume realisieren wollen, um den geheimen, verleugneten<br />

Wünschen Folge zu leisten, auch wenn sie einen absurden, extremen Preis,<br />

etwa den Wahnsinn, dafür zahlen müssen: der Protagonist des Romans Il<br />

fu Mattia Pascal profitiert von einem Zufall, um seinen Tod zu simulieren<br />

und sich eine andere Existenz zu entwerfen. Sein Versuch scheitert an der<br />

Strenge und an den heuchlerischen Konventionen der Gesellschaft, und er<br />

muss am Ende seinen „sozialen“ Tod anerkennen und <strong>di</strong>e letzten Jahre ein<br />

Schattendasein fristen. Im Theaterstück Enrico IV bedeutet der Wahnsinn<br />

hingegen <strong>di</strong>e Chance, sich an einem falschen Leben zu rächen, aber <strong>di</strong>eser<br />

Zustand verwandelt sich zugleich in ein Gefängnis, aus dem man wegen<br />

der gesellschaftlichen Ordnung keinen Ausweg finden kann.<br />

Wer gegen gesellschaftliche Gesetze verstößt, der Tabubrecher/ <strong>di</strong>e<br />

Tabubrecherin, wer gegen <strong>di</strong>e Unterdrückung der Ideale und <strong>di</strong>e Ableugnung<br />

der Wünsche rebelliert, der/<strong>di</strong>e muss für <strong>di</strong>e eigene Kühnheit und<br />

Phantasie bestraft werden.<br />

In <strong>di</strong>esem Sinn führt <strong>di</strong>e Stimme des schreibenden Subjekts in der Erzählung<br />

weiter:<br />

»Was uns in einem Leben fehlt, holen wir uns in anderen … wir leben in uns<br />

und in anderen Formen von uns selbst, <strong>di</strong>e uns mitunter so fremd sind, daß wir

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