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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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66 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

darum, <strong>di</strong>e Vernichtung der Frau in ihm, <strong>di</strong>e Entleibung des Mannes,<br />

seine Verwandlung in einen „Sohn“ zu verhindern«, 45<br />

wobei unter „Sohn“ eine untergeordnete, passive, vom Vater abhängige<br />

Rolle gemeint ist. Durch Symptome wie Atemnot, Sprachlosigkeit usw. signalisiert<br />

der Mann <strong>di</strong>e eigene Krise und kämpft zugleich um seinen Körper<br />

und gegen <strong>di</strong>e „Mutter“, gleichgültig ob <strong>di</strong>ese nun von einer Frau, der<br />

Armee oder dem Staat verkörpert wird. 46<br />

Christina von Braun erinnert zu <strong>di</strong>esem Punkt daran, dass der Psychoanalytiker<br />

W. Schwidder festgestellt hat, dass hysterische Charakterstrukturen<br />

in Deutschland genau doppelt so häufig für Frauen wie für Männer<br />

<strong>di</strong>agnostiziert werden. Nach und nach hat sich zunehmend <strong>di</strong>e Vorstellung<br />

durchgesetzt, dass auch der Mann hysterisch sein kann.<br />

»Diese Sichtweise begleitet <strong>di</strong>e allmähliche Verlagerung der Hysterie-<br />

Ursache in den Kopf, „nach oben“. Da <strong>di</strong>e Gebärmutter als Ätiologie<br />

der Hysterie zunehmend in den Hintergrund rückt und der Kopf<br />

im Krankheitsbild an Bedeutung gewinnt, ist <strong>di</strong>e Vorstellung, daß<br />

<strong>di</strong>ese Krankheit der Frau vorbehalten sei, immer weniger zu rechtfertigen.«<br />

47<br />

Über lange Zeit, schreibt von Braun, vermieden es Fachleute, beim<br />

Mann von Hysterie zu sprechen und redeten lieber von „Hypochondrie“,<br />

aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts hat sich <strong>di</strong>e Umbenennung der Hypochondrie<br />

in <strong>di</strong>e Nomenklatur „männliche Hysterie“ allmählich durchgesetzt,<br />

und gleichzeitig begleiteten das verstärkte Auftreten und Erkennen<br />

<strong>di</strong>eser Erscheinung <strong>di</strong>e Verlagerung der männlichen Potenz in den Bereich<br />

des „Geistigen“. 48<br />

Im Band Nicht ich wird auch bemerkt, dass der Prozess der allmählichen<br />

Verlagerung der Hysterie-Ursache „nach oben“ mit der Einordnung der<br />

Hysterie in <strong>di</strong>e psychischen Krankheiten endete, und das schuf <strong>di</strong>e<br />

Voraussetzung dafür, dass sie später zur „Krankheit der Willenlosigkeit“<br />

werden konnte. Die männliche Hysterie galt als eine Erkrankung der<br />

„Willenlosigkeit“: als hysterisch wurden nicht nur Frauen bezeichnet, sondern<br />

auch Männer, <strong>di</strong>e sich durch Passivität auszeichneten und ähnliche<br />

Symptome wie <strong>di</strong>e Frauen entwickelten, Symptome der Ichlosigkeit, der<br />

45 Christina von Braun (1994), S. 328.<br />

46 Ebenda.<br />

47 Christina von Braun (1994), S. 329.<br />

48 Christina von Braun (1994), S. 330.

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