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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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218 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

und das Unverständnis der Mutter und das belastende Klima des Unbehagens,<br />

das in der Rauhensteingasse geherrscht hatte, wobei besonders <strong>di</strong>e<br />

Erwartung vor Weihnachten immer „mit Furcht“ vermischt gewesen war.<br />

Lisa fürchtete immer, nicht rechtzeitig mit den Geschenken fertig zu werden:<br />

im Grunde aber fürchtete sie das böse Klima zwischen den Eltern,<br />

ihre Streitsüchtigkeit und Feindseligkeit gerade an einem Abend, der nach<br />

den Erwartungen der Gesellschaft, des „großen Ichs“ besonders glücklich<br />

verlaufen solle:<br />

»Vor der Weihnachtsbescherung hatte es in Lisas Familie immer<br />

Streit gegeben. Manchmal war den ganzen Abend eine gereizte<br />

Stimmung gewesen mit kurzen bösen Antworten. Manchmal wurde<br />

gebrüllt, und <strong>di</strong>e Eltern hatten gedroht, <strong>di</strong>eses Elend verlassen zu<br />

wollen und wegzugehen.« (L. L., 2. Folge, S. 32)<br />

Der Mensch gibt aber nie freiwillig <strong>di</strong>e Hoffnung auf etwas Besseres<br />

auf, und Lisa wiederholt stän<strong>di</strong>g in ihrem Leben das als Kind verinnerlichte<br />

Muster des Wartens: der einzige ruhige Augenblick an jenen furchtbaren<br />

Abenden war <strong>di</strong>e Wartezeit auf das Glockenzeichen vom Christkind,<br />

da<br />

»[...] war es plötzlich so, als wären alle miteinander in tiefster Zuneigung<br />

verbunden gewesen.« (L. L., 2. Folge, S. 32)<br />

Lisa war es immer wieder so vorgekommen, als ob sich plötzlich etwas<br />

Entscheidendes hätte ereignen können:<br />

»Aber in <strong>di</strong>esem Augenblick mit dem Vater und dem Bruder in der<br />

Küche war es ihr immer vorgekommen, als käme nun etwas Wunderbares.<br />

Das, worauf man gewartet hatte, und das von nun an alles<br />

anders werden lassen würde.« (L. L., 2. Folge, S. 32)<br />

Am Weihnachtsabend nach dem Tod des Vaters bekommt sie noch<br />

einmal <strong>di</strong>e Geschichte ihrer Geburt zu hören: ihr Auf-<strong>di</strong>e-Welt-gekommen-Sein<br />

wird von der Mutter als ein Leidens-und-Sterbens-Bericht erzählt,<br />

was <strong>di</strong>e Schuldgefühle der Tochter unbewusst verstärkt:<br />

»Lisa hörte dann noch, daß sie quer gelegen sei. Und daß sie im Leib<br />

ihrer Mutter hätte gedreht werden müssen. Und daß der Arzt und <strong>di</strong>e<br />

Hebamme kein Verständnis gehabt hätten. [...] Wie <strong>di</strong>e erste Preßwehe<br />

gekommen sei, habe <strong>di</strong>e Mutter nicht einmal schreien können.<br />

Als wäre sie ertrunken in den Krämpfen und der Atemnot, so habe<br />

sie sich gefühlt.« (L. L., 1. Folge, S. 87)

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