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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 87<br />

Trauma, das <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin nicht bewältigen kann, <strong>di</strong>e physische und<br />

geistige Trennung erscheint ihr fast unerträglich.<br />

»Jack hat <strong>di</strong>e Hand auf meiner Schulter, drückt schwer, er lehnt sich<br />

vor. Er ist ungedul<strong>di</strong>g, will alles genau sehen und will wieder weg. [...]<br />

Mit Kugelschreiber schreibe ich meinen Namen in <strong>di</strong>e helle Innenseite.<br />

Wer soll sie <strong>di</strong>r denn nehmen, sagt Jack.« (Die Kr., S. 10-11)<br />

Katherine, <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin, ist ihm praktisch ausgeliefert, nachdem<br />

der Mann sie überzeugt hat, <strong>di</strong>e Großstadt zu verlassen und in ein<br />

abgelegenes Bauernhaus umzuziehen. Sie erscheint ziemlich hilflos, anpassungsbereit,<br />

passiv, und da tritt eine „gesunde“ Frau auf, <strong>di</strong>e Bäuerin Rosie,<br />

<strong>di</strong>e Jack schon gut kennt.<br />

»Ich kanns nicht glauben, daß ihr jetzt wirklich hier seid, sagt <strong>di</strong>e<br />

junge Frau und stellt ein paar Gläser auf den Tisch. Sie ist Lehrerin,<br />

führt nebenher mit ihrer Mutter den kleinen Hof. [...]<br />

Nennt sie Rosie, sagt Kathleen. Rosie paßt gut.« (Die Kr., S. 12-13)<br />

Auch <strong>di</strong>e männliche Hauptperson, Jack, ist eine der Schnittstellen von<br />

Katherine Mansfields Biographie mit der der Ich-Erzählerin. 66<br />

Jack wurde nämlich der Liebhaber und spätere Ehemann John Middleton<br />

Murry genannt, der sich weigerte, <strong>di</strong>e Dichterin auf eine Reise in ein<br />

Land mit günstigerem Klima zu begleiten, und Jack heißt der Freund der<br />

Ich-Erzählerin, ein Sprachwissenschaftler, der sie infolge einer willkürlichen<br />

Lebensentscheidung aufs Land gebracht hat. Seine Bedürfnisse und<br />

seine Vorliebe für <strong>di</strong>e einsame und harte Existenzform sollen auch für <strong>di</strong>e<br />

Frau gelten, <strong>di</strong>e ihm passiv und resigniert folgt. Gerade er, der für beide<br />

<strong>di</strong>ese wichtige Entscheidung getroffen hat, lässt dann <strong>di</strong>e Freun<strong>di</strong>n im<br />

Stich, indem er sich einer anderen Frau, der gesunden, starken Nachbarin<br />

Rosie zuwendet, und <strong>di</strong>e Ich-Erzählerin durch seine „Desertion aus der<br />

Beziehung“ kränkt. Diese passive Haltung der Protagonistin dem Freund<br />

gegenüber kann vielleicht mit einem biographischen Aspekt erklärt werden,<br />

und zwar mit dem Hinweis auf <strong>di</strong>e Kindheit, auf <strong>di</strong>e Komplexität einer<br />

schwierigen Vater-Tocher-Beziehung.<br />

Die Notwen<strong>di</strong>gkeit und der intime Wunsch, „<strong>di</strong>e brave Tochter“ zu<br />

spielen, um vom Vater akzeptiert und gelobt zu werden, wirkt nach Jahren<br />

auf das Verhalten der jungen Frau, <strong>di</strong>e sich wieder für <strong>di</strong>e Anpassung<br />

entscheidet, um Anerkennung und Liebe zu gewinnen.<br />

66 Ebenda.

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