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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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74 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Dank der Empfindlichkeit solcher Figuren wird also klar, behauptet<br />

von Braun, dass <strong>di</strong>ese Formen, <strong>di</strong>e negativ als „Hysterie“ bezeichnet werden,<br />

hingegen einen besonderen geistigen Reichtum anzeigen. Die so genannte<br />

„psychische Bisexualität“, <strong>di</strong>e der männlichen wie der weiblichen<br />

Hysterie eigen sei, drückt das Bewusstsein aus, dass das ich gespalten ist<br />

und zwei oder mehrere Komponenten haben kann. Diese Gespaltenheit<br />

des Ichs ist aber eher als ein positives Element zu bewerten, weil »seine<br />

„Unvollstän<strong>di</strong>gkeit“ eben darin besteht, auch den anderen in sich zu verspüren«.<br />

55 Die Sensibilität des Protagonisten von Evelyn Schlags Erzählung<br />

soll in <strong>di</strong>esem Sinn interpretiert werden: <strong>di</strong>ese männliche Hysterie ist<br />

sicher auch als das Ersticken an der Mutter bzw. an der Realität, an dem<br />

ICH (»das kein ich neben sich duldet«) zu verstehen, welches <strong>di</strong>e weibliche<br />

Komponente in dem männlichen Bewusstsein unterdrückt. Die sprachlichen<br />

Symptome <strong>di</strong>eser Hysterie nennt man Sprachkörper: wie das Wort, das<br />

im Anfang steht, stellt auch <strong>di</strong>e Hysterie durch <strong>di</strong>e Sprachkörper <strong>di</strong>e Verwandlung<br />

von Worten in eine körperliche, mit den Sinnen wahrnehmbare<br />

Realität dar. 56 Natürlich spielt <strong>di</strong>e komplexe Beziehung zur eigenen Mutter<br />

eine gewisse Rolle beim Entstehen der männlichen Hysterie, wie auch in<br />

der Erzählung explizit erwähnt wird:<br />

»Was ist verrückter, dachte er, sich gesund zu glauben oder krank zu<br />

sein, oder das andere?«<br />

Gleich danach kommt das Zitat, das <strong>di</strong>e vorwurfsvollen Worte der<br />

Mutter reproduziert:<br />

»Die Männer sind alle Hypochonder, so <strong>di</strong>e Mutter.« (BR, S. 44)<br />

Was bleibt uns aber anderes übrig, reflektiert der Protagonist weiter.<br />

Wenn sich <strong>di</strong>e Männer <strong>di</strong>e Empfindungen verboten haben, so darf etwas<br />

„Psychisches“ nicht in Frage kommen, obwohl man das Unbehagen als<br />

somatische Symptome sichtbar macht. Nur das wird aber von der Gesellschaft<br />

akzeptiert:<br />

»Ein Magengeschwür darf man haben, der Streß darf dran schuld<br />

sein, aber keiner nimmt den Streß beim Wort.« (BR, S. 45)<br />

55 Christina von Braun (1994), S. 326.<br />

56 Vgl. Christina von Braun (1994), S. 85, den Begriff hat <strong>di</strong>e Autorin von Hans-Jürgen<br />

Heinrichs übernommen. Siehe Hans-Jürgen Heinrichs, Sprachkörper. Zu Claude Lévi-<br />

Strauss und Jacques Lacan, Frankfurt/M., Paris: Qumran Verlag, 1983.

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