Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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146 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
kulturelle Mann-Sein herausbildet. 24 Die Übertreibungskunst der Urheberin<br />
der Fiktion entmystifiziert <strong>di</strong>e Unnatürlichkeit <strong>di</strong>eser Denk- und Verhaltensweise,<br />
<strong>di</strong>e aus Bildern besteht, <strong>di</strong>e eigentlich von der gesellschaftlichen<br />
Wirklichkeit in der Psyche verankert werden, nach einem bestimmten<br />
Schema, das Rosemarie Lederer zusammengefasst hat. Einige Elemente<br />
davon können in der Figur „Wilhelmine“ wiedergefunden werden:<br />
a) Dominanz durch Leistung und Erfolg: Die Erwartungshandlung wird<br />
im Text wie in einem verzerrenden Spiegel grotesk nachgeahmt. In der<br />
Beziehung Wilhelm–Wilhelmine nimmt sie als männliche Frau <strong>di</strong>e<br />
Vorzugsstellung ein, <strong>di</strong>e üblicherweise dem Ehegatten in der Geschlechtshierarchie<br />
zugeordnet wird.<br />
b) Ängste: Gefühle wie Trauer, Angst und Schwäche passen nicht zum<br />
„richtigen Mann“. Die hypertrophe, übermäßig vergrößerte Selbstsicherheit<br />
Wilhelmines paro<strong>di</strong>ert <strong>di</strong>ese Haltung, <strong>di</strong>e keine Zweifel kennen<br />
will und sich selbst zur Beschränktheit verurteilt.<br />
c) Aggression und Härte: Angriff ist der beste Weg der Vertei<strong>di</strong>gung und<br />
<strong>di</strong>ent der schnellen Selbstaffirmation auf Kosten des Anderen.<br />
Das Schweigen als „männliche Tugend“ passt aber nicht zu unserer<br />
Wilhelmine: bei einer ersten Lektüre scheint sie sogar <strong>di</strong>e als „typisch<br />
weiblich“ gekennzeichnete Gesprächigkeit zu verkörpern. Aber ihre Wortfülle,<br />
ihre Selbstsicherheit beim Sprechen bedeutet auf keinen Fall Mitteilsamkeit,<br />
weder Aufgeschlossenheit noch Beziehungsfähigkeit. Im Gegenteil<br />
be<strong>di</strong>ent sie sich der Sprache als Mittel ihrer Aggressivität zur Erreichung<br />
der sich selbst gesetzten, egoistischen Ziele.<br />
Der „männliche“ Charakter <strong>di</strong>eser Frauenfigur beweist ein besonderes<br />
Problem der gegenwärtigen Gesellschaft, in der Frauen immer öfter Männerrollen<br />
übernehmen und entscheiden müssen, in welcher sprachlichen<br />
Form sie ihr Denken und ihre soziale Funktion auszudrücken haben. Oft<br />
wählt <strong>di</strong>e Frau „in toto“ <strong>di</strong>e Männersprache, aber sie kann dabei ihre<br />
Identität verlieren:<br />
»[...] Um ernst genommen zu werden, muß sie reden wie ein Mann;<br />
tut sie das, gilt sie nicht als feminin, sondern maskulin, bestenfalls als<br />
Mannweib.« 25<br />
24 Siehe Rosemarie Lederer, <strong>di</strong>e im Buch Grenzgänger Ich Schriftsteller wie Werner<br />
Kofler, Peter Handke und Elias Canetti zitiert, und erklärt, wie <strong>di</strong>ese Autoren in ihren<br />
Texten <strong>di</strong>esen Zurichtungsprozess transparent machen. Vgl. Rosemarie Lederer, Grenzgänger<br />
Ich (1998), S. 70 ff.<br />
25 Michael Hausherr-Mälzer, Die Sprache des Patriarchats. Sprache als Abbild und Werkzeug