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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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206 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

<strong>di</strong>e eigenen Ich-Grenzen und <strong>di</strong>e Grenzen zur Welt zu überschreiten, neue<br />

Schwellen zu betreten, unerfundene Zugänge erblicken zu lassen, aufgrund<br />

der Verantwortung dem Leser/der Leserin gegenüber:<br />

»Es ging darum, Mittel der Beschreibung <strong>di</strong>eser Vorgänge und der<br />

Abgrenzung zu finden. Die Grenzsetzung zwischen mir, dem Text<br />

und der Welt. Ich mußte einen Ort finden, an dem meine Kontingenz<br />

mit der des Lesers in eins fällt.« 43<br />

In <strong>di</strong>eser Richtung würde ich auch <strong>di</strong>e „poetische Revolution“ interpretieren,<br />

<strong>di</strong>e <strong>di</strong>ese Schriftstellerin in ihren Texten verwirklicht, indem sie<br />

auf Ziele wie ein harmonisches Ganze, Vollkommenheit, Geschliffenheit<br />

der Sprache und der Weltanschauung bewusst verzichtet: Kurze Sätze, Ellipsen,<br />

mutige Entscheidungen gegen <strong>di</strong>e „ordentliche“ Syntax deuten das<br />

Streben nach einem eigenen Wort an, nach einer neuen Sprache, welche<br />

<strong>di</strong>e Chance eines neuen Denkens zeigen will. Schreiben soll also nicht,<br />

oder nicht nur, als Produkt einer künstlerischen Begabung verstanden<br />

werden, als Reflex einer „göttlichen Einbildungskraft“, sondern infolge eines<br />

starken Gefühls der Verantwortung den anderen Frauen gegenüber,<br />

damit das Wort der Einzelnen wirkungsvoll bleibt im Sinne der philosophischen<br />

Vermittlung und einen intersubjektiven Raum eröffnet:<br />

»Einen Raum, an dem <strong>di</strong>e Geschichte des Lesers und der Leserin ihren<br />

Platz findet. Einen Raum, in dem der Leser und <strong>di</strong>e Leserin den<br />

Text über ihr Eigenes vollenden und damit zu ihrem Text machen<br />

können.« 44<br />

Der Punkt als Kunstmittel bietet einen Halt, der sich provisorisch,<br />

flüchtig vorstellt, doch erlaubt, in der zersplitterten, in der zerrissenen Sprache,<br />

<strong>di</strong>e einer epochalen Zerrissenheit entspricht, Orientierungsspuren zu<br />

verstreuen. Auf <strong>di</strong>ese Weise kann das Paradoxon gelingen: <strong>di</strong>e schriftlich<br />

fixierte Struktur des Textes, <strong>di</strong>e Statik aufweist, indem sie unwiderruflich<br />

etwas Endgültiges darstellt, ein für allemal festgelegt, deutet durch <strong>di</strong>e<br />

sprachliche Zerstückelung und <strong>di</strong>e Zersplittertheit auf <strong>di</strong>e Dynamik des<br />

Lebens, auf <strong>di</strong>e Prozessualität und <strong>di</strong>e Bewegung.<br />

»Ich denke, daß der Punkt in der zerrissenen Sprache <strong>di</strong>esen Raum,<br />

<strong>di</strong>ese Möglichkeiten schafft. Ich denke, daß im Punkt auf der formalen<br />

Ebene mein Geheimnis verborgen ist und von da auf <strong>di</strong>e Ge-<br />

43 Ebenda.<br />

44 Marlene Streeruwitz, ebenda.

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