Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 181<br />
soll als Sünde bezahlt werden. In <strong>di</strong>esem Sinn besitzt jede Mutter potentiell<br />
einen rebellischen, umstürzlerischen Charakter, wenn sie sich als<br />
Schöpferin des Fleisches denkt und auch nach der Geburt ihrer Geschöpfe<br />
einen unmittelbaren Kontakt zu <strong>di</strong>esen zu pflegen weiß, einen<br />
Kontakt zu ihrem Wesen, durch eine eigene Sprache, <strong>di</strong>e „Muttersprache“,<br />
durch einen I<strong>di</strong>olekt der Liebe, der sich in <strong>di</strong>eser Erzählung durch das<br />
Singen und das Erzählen offenbart.<br />
Schon Gerhard Melzer betonte den potentiell und prinzipiell umwälzenden<br />
Charakter des Weiblichen, so wie es am Beispiel der Figur Berta<br />
dargestellt wird:<br />
»Wie Berta haben Frauen jahrhundertelang das „gleichermaßen lustvolle<br />
wie bedrohliche Potential ihrer Begabungen“ in Sprachlosigkeit,<br />
Schweigen und Wahnsinn neutralisiert, und wie Berta haben sie<br />
zugleich evident gehalten, daß <strong>di</strong>eses Potential, einmal freigesetzt,<br />
den Zustand der Welt verändern könnte.« 55<br />
Das erscheint in der Erzählung kurz vor der Tragö<strong>di</strong>e: da schickt Berta<br />
<strong>di</strong>e Kinder nicht mehr zur Schule, entreißt sie der gesellschaftlichen Ordnung<br />
und erlebt mit ihnen einige Momente des Glücks, des Singens und<br />
des Erzählens nach anderen Parametern, nach einer neuen, unvernünftigen<br />
Logik.<br />
Dazu schrieb Gerhard Melzer:<br />
»Ansatzweise klingt <strong>di</strong>ese Veränderungsmöglichkeit an, als Berta und<br />
ihre Kinder, alle drei aus einer mittlerweile ver-rückten Sicht, ihre<br />
Gleichgültigkeit gegenüber dem ein<strong>di</strong>mensionalen Ordnungssystem<br />
des Haushalts zum Ausdruck bringen.: ›Sie konnten es so, anders,<br />
aber auch noch ganz anders ordnen.[...]‹ « 56<br />
Aber <strong>di</strong>ese Episode des momentanen Glücks, das Mutter und Kinder<br />
dank der rebellischen Freiheit des Sich-der-Ordnung-Entziehens, des willkürlichen<br />
Aussteigens, des Anders-Ordnens erleben, zeigt, dass <strong>di</strong>e Möglichkeit<br />
des Sinns und des Glücks selbst eben in der gemeinsamen Teilnahme,<br />
in dem wiedergefundenen Gefühl der Körperlichkeit, in einer<br />
zärtlichen Liebe besteht.<br />
Gerade in den Albträumen und Ängsten Bertas manifestiert sich – im<br />
Unterbewussten – der Anspruch Bertas auf <strong>di</strong>e eigenen Kinder: als Mutter<br />
behauptet sie ihr Recht, über ihre missachtete „Brut“ zu verfügen, da sie<br />
55 Gerhard Melzer, ebenda.<br />
56 Ebenda.