Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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236 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
sah im Skaz <strong>di</strong>e Interaktion der stilistischen Systeme umgangssprachlicher<br />
und literarischer Rede. 98 Die fingierte Mündlichkeit, <strong>di</strong>e so hervorragend<br />
auch in der Erzählung von Marianne Fritz Die Schwerkraft der Verhältnisse<br />
<strong>di</strong>e textuelle Struktur konstituiert, sollte meiner Meinung nach als ein<br />
Kunstmittel interpretiert werden, das dem Versuch entspricht, <strong>di</strong>e Mündlichkeit<br />
wiederaufzuwerten, indem sie zur Schrift wird.<br />
Durch <strong>di</strong>eses Verfahren gibt <strong>di</strong>e erzählerische Instanz allen Figuren <strong>di</strong>e<br />
Chance, sich zu äußern, und reproduziert somit <strong>di</strong>e sprachlichen Interaktionen,<br />
<strong>di</strong>e im schriftlichen Gewebe fixiert werden und trotzdem „frei“<br />
sind, indem der Leser/<strong>di</strong>e Leserin <strong>di</strong>e Strategien und <strong>di</strong>e sprachlich zu<br />
vollziehenden Absichten der Figuren erforschen und rekonstruieren kann.<br />
4.3.2. Zurück zur Frage der „guten“ Mütterlichkeit<br />
Durch seine Drohungen erregt der des Ehebruchs „schul<strong>di</strong>ge“ Gregor<br />
also Angst in der von ihm verlassenen Frau, und Helene nimmt <strong>di</strong>ese<br />
Rolle des Opfers unbewusst an, indem sie sich nicht weigert, <strong>di</strong>ese Drohungen<br />
wahrzunehmen. Sie erlebt aber auch, wie Lisa in dem zweiten<br />
Roman, eine absolute Einsamkeit, besonders was den notwen<strong>di</strong>gen Austausch<br />
von Worten betrifft. Wem sollte sie sich anvertrauen?<br />
Zu ihrem Vater will und kann sie nicht gehen: gehen würde „zugeben“<br />
heißen, d. h. <strong>di</strong>e eigene Wahl (sie hatte früh geheiratet, vermutlich auch um<br />
von <strong>di</strong>esen strengen, repressiven Eltern Abschied zu nehmen), als „Schuld“<br />
erkennen, <strong>di</strong>e sie teuer büßen muss, als Unvermeidlichkeit einer sich selbst erfüllenden<br />
Prophezeiung. 99 Aber Helene ist stolz, hocherhobenen Hauptes will<br />
sie sich <strong>di</strong>esem Kreislauf nicht ausliefern, will sich nicht wiederum als Schutzflehende<br />
zu erkennen geben:<br />
»Sie würde es durchstehen müssen. Sie wußte nicht, wie. Und. Zu ihrem<br />
Vater gehen. Zugeben, daß es falsch gewesen war, zu heiraten.<br />
Obwohl eigentlich ihr Vater auf der Heirat bestanden hatte. Und ja.<br />
Es war falsch gewesen, <strong>di</strong>esen Mann zu heiraten. So jung zu heiraten.<br />
Und ja. Man hatte ihr von ihm abgeraten.« (Verf., S. 103)<br />
98 Vgl. dazu den Artikel über „Skaz“ im Band Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie<br />
(1998), S. 490-491.<br />
99 Vgl. dazu das mehrfach zitierte Problem der „erlernten Hilflosigkeit“, von Rosemarie<br />
Lederer im Abschnitt über <strong>di</strong>e „richtige Frau“ analysiert. Vgl. Rosemarie Lederer,<br />
Grenzgänger Ich (1998), S. 108 ff.