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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Marlene Streeruwitz: Eine Poetik des Suchens 225<br />

mord oder ein Schritt mehr zur Selbststän<strong>di</strong>gkeit ist und wahrscheinlich den<br />

Erfolg als Schriftstellerin bedeutet, das wissen wir nicht und wollen wir<br />

auch nicht wissen: das Ende ist ja offen, damit jeder Leser/jede Leserin<br />

sich etwas vorstellen kann.<br />

Indem sie sich <strong>di</strong>e Schrift aneignet, verweist <strong>di</strong>e Figur Lisa symbolisch<br />

auf den Versuch der Frauen, sich eine Identität, eine Subjektkonstitution<br />

durch <strong>di</strong>e Sprache als mögliches Haus des Ichs zu schaffen.<br />

Der Avantgarde-Charakter der Textpraxis von Marlene Streeruwitz, <strong>di</strong>e<br />

sich fiktional aus der Collage entwickelt, erinnert daran, wie schwierig es<br />

ist, eine „weibliche“ Sprache zu entwerfen. Denn <strong>di</strong>e Sprache, <strong>di</strong>e es gibt<br />

und <strong>di</strong>e herrscht, ist <strong>di</strong>e Stätte des Mannes: »verstärkt und gefolgt von ihrem<br />

epistemologischen Formalismus, ihren formalen Logiken« 70 verwehrt<br />

das System der Sprache <strong>di</strong>e Schwelle zu einem Wohnen in der Sprache,<br />

was zu einer weiblichen Selbstliebe entscheidend betragen würde:<br />

»Das Hin und Her der Worte, mittels der Worte, das ihnen erlauben<br />

würde, aus sich herauszutreten und zu sich zurückzukehren.« 71<br />

Durch das Schreiben, oder durch irgendeine schöpferische Tätigkeit, ist<br />

<strong>di</strong>e Frau imstande, <strong>di</strong>e verankerte Spannung zwischen Körper und Anima<br />

zu harmonisieren, ihren entfremdeten Körper wiederzufühlen, »sich ein Territorium,<br />

eine Umgebung zu schaffen« und <strong>di</strong>e anderen (LeserInnen) eventuell<br />

in <strong>di</strong>esen Prozess der Selbstfindung einzubeziehen, »zu einer Teilhabe,<br />

zu einem Aufenthalt einzuladen«.<br />

Ein „weiblicher Text“ kann auch nicht zum „Schicksal und Tode“ erziehen,<br />

sondern lässt dem Leser/der Leserin einen Streifen Hoffnung erblicken:<br />

es hängt (auch!) von uns selbst ab.<br />

Und <strong>di</strong>ese Hoffnung besteht sicher nicht in einer zukünftigen Perspektive<br />

(»Wir leben in Erwartung. Immerhin erwarten wir eine Ewigkeit. Um<br />

<strong>di</strong>ese Erwartung aufrechterhalten und beschreiben zu können, wurde der<br />

Begriff der Zukunft erfunden. Einer abstrakten Zukunft, in <strong>di</strong>e <strong>di</strong>e Erfüllung<br />

jeder Sehnsucht verschoben werden kann.«), 72 sondern im Akt des<br />

Schreibens (und später des Lesens) als Verweis auf <strong>di</strong>e immer drohende<br />

Möglichkeit des Schweigens und der Leere und zugleich auf <strong>di</strong>e produktive<br />

Kraft, <strong>di</strong>e Leere mit der Schrift, mit dem eigenen Wort zu überwinden.<br />

70 Luce Irigaray, Ethik der sexuellen Differenz (1991), S. 128.<br />

71 Ebenda.<br />

72 Marlene Streeruwitz, Sein. Und Schein. Und Erscheinen., S. 15.

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