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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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150 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Gerade <strong>di</strong>ese Strategie „von Zuckerbrot und Peitsche“ wird im Text<br />

Marianne Fritz’ vorbildhaft repräsentiert und durch <strong>di</strong>e groteske Übertreibung<br />

stigmatisiert, indem Wilhelmine Berta von der ersten Seite an als<br />

„Unglücksrabe“ markiert, aber mit einem schmeichelnden Ton, der <strong>di</strong>e<br />

Wirkung im Unbewussten der Betroffenen verdoppelt.<br />

»Sprachattrappen in Form von stets wiederholten Sprichwörtern erwecken<br />

den Anschein einer allgemeingültigen Wahrheit.« 32<br />

Wenn <strong>di</strong>e Freun<strong>di</strong>n uns das sogar mit freundlichem Ton sagt, muss das<br />

tatsächlich stimmen! Sogar „gutmütig“ klingt ihre Stimme am Ende der<br />

Geschichte (fabula) sowie der Erzählung, als sie Berta in der Irrenanstalt<br />

besuch, da sie <strong>di</strong>e Verkleinerungsform verwendet, um den Effekt zu amplifizieren<br />

und zugleich zu verkleiden.<br />

»Sie tätschelte Bertas Wange und meinte gutmütig: ›Gelt, du Unglücksrabe.<br />

Es wird doch nie so heiß gegessen wie gekocht. Was<br />

sagst du, Räblein?‹ « (S.V., S. 99)<br />

Normal sein, erinnert Rosemarie Lederer, heißt nämlich, sich der Norm<br />

der Masse anzupassen, der Volksnorm entsprechend. Die Anredeformel,<br />

welche <strong>di</strong>e arme Berta jedes Mal von Wilhelmine zu hören bekommt,<br />

„Berta, du Unglücksrabe“ ist typisch für <strong>di</strong>ese Tendenz, sich selbst erfüllende<br />

Prophezeiungen zu verkünden, <strong>di</strong>e besonders junge und sensible<br />

Frauen einschüchtern und damit eine erlernte Hilflosigkeit anstiften.<br />

Folglich ist es klar, dass manche Frauen »ihr Leben als unausweichliche<br />

Naturkatastrophe wahrnehmen« können, 33 weil in den Worten der anderen<br />

das Glück oder das Unglück schon vorgesehen, fast „programmiert“ erscheint.<br />

Dieser Mechanismus wird am Beispiel Bertas sehr deutlich illustriert:<br />

nicht nur <strong>di</strong>e Verhältnisse, in denen sie lebt, sondern vor allem <strong>di</strong>e Formeln,<br />

<strong>di</strong>e eine Mauer um sie herum Tag um Tag errichten, tragen dazu bei,<br />

einen zwangsläufigen Ablauf entstehen zu lassen, und führen zur psychischen<br />

Katastrophe.<br />

Ich will hier den Begriff der „verbalen Aggression“ verwenden in der<br />

Definition der linguistischen Ethologie (Sager 1988): nach <strong>di</strong>eser kulturanthropologischen<br />

Disziplin ist<br />

32 Rosemarie Lederer, Grenzgänger Ich (1998), S. 128.<br />

33 Ebenda.

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