Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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46 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
in der Erzählung Die Kränkung und untersucht literarische Darstellungen<br />
der Tuberkulose, <strong>di</strong>e „im 19. Jahrhundert <strong>di</strong>e Krankheit schlechthin“ war.<br />
Ein Teil der Vorlesungen ist schreibenden Ärzten gewidmet, wie dem<br />
Amerikaner William Carlos Williams und dem Waliser Dannie Abse.<br />
In <strong>di</strong>esem Buch erläutert <strong>di</strong>e Autorin das literaturkritische Verfahren<br />
der Deskription und Interpretation, das sie für ihre Kunst bewusst gewählt<br />
hat: Als Motto für ihre Schreibpraxis könnte <strong>di</strong>e Definition „Der Dichter<br />
als Stethoskop“ vorgeschlagen werden, wie es über den Schriftstellerarzt<br />
Williams und dessen <strong>di</strong>agnostizierenden Blick heißt. 4<br />
Als Tochter eines Chirurgen und Frau eines Internisten kennt sich<br />
Evelyn Schlag besonders gut in der schmerzvollen, aber auch heilenden<br />
Welt der Me<strong>di</strong>zin aus: Metaphern und viele sprachlichen Bilder stammen<br />
also aus ihrem Milieu und drücken eine leicht spürbare Empfindlichkeit<br />
aus. Mit feiner, zarter Sensibilität kann <strong>di</strong>e Schriftstellerin ihre Mitmenschen<br />
beobachten, immer frei, ohne im voraus festgelegte Bewertungsparameter,<br />
und sie versucht dann Bemerkungen, Gefühle, Emotionen, innere<br />
Konsonanzen durch das Schreiben zu reproduzieren, Stimmungen zu<br />
schildern, Echos zu evozieren.<br />
Selbstverständlich spielt das Verhältnis Subjekt-Objekt seit jeher eine<br />
zentrale Rolle im Akt des Schreibens sowie in der Existenz der Menschen,<br />
<strong>di</strong>e einfach leben oder auch lesen oder sogar schreiben wollen: Wie kann<br />
ich das benennen, was ich sehe, höre, verstehe, erfahre, wie kann ich<br />
meine Erfahrungen mit anderen teilen, wie kann ich das richtige Wort<br />
finden, den passenden Ausdruck für <strong>di</strong>e Dinge, <strong>di</strong>e mich meine Empfindlichkeit,<br />
meine in<strong>di</strong>viduelle Aufmerksamkeit erleben lässt.<br />
In der Schulzeit waren Peter-Handke- und Max-Frisch-Lektüren sehr<br />
wichtig für Evelyn Schlag, <strong>di</strong>e sich gerne daran erinnert, wie ihr Stiller in<br />
<strong>di</strong>e Hände kam, und bald darauf das Tagebuch 1944-49:<br />
»Plötzlich hat meine Wirklichkeit, obwohl sie sich in einer österreichischen<br />
Kleinstadt abspielte, übereingestimmt mit <strong>di</strong>eser Schweizer<br />
Wirklichkeit. Da ist etwas eingeklinkt zwischen Literatur und Wirklichkeit.«<br />
5<br />
Beim Lesen entwickelte sie einfach <strong>di</strong>e Zuversicht der Schriftkunst gegenüber,<br />
da ist spontan Vertrauen entstanden:<br />
4 Evelyn Schlag, „Ein Leben lang genau hingehört.“ Über William Carlos Williams und <strong>di</strong>e<br />
Ge<strong>di</strong>chte, <strong>di</strong>e seine Patienten ihm erzählen. In: Keiner fragt mich je, wozu ich <strong>di</strong>ese Krankheit denn<br />
brauche, S. 16.<br />
5 Evelyn Schlag, „Die Wahrnehmungskünstler und <strong>di</strong>e Kranken“, S. 157-158.