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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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140 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

ren Ausdrücke des Mannes, <strong>di</strong>e Klagen der Kinder, <strong>di</strong>e Briefe der Frau<br />

Lehrerin, welche Bertas Verwirrung erzeugen: aus Worten besteht <strong>di</strong>e Welt<br />

der Berta, aus Worten besteht <strong>di</strong>e Festung, in <strong>di</strong>e Berta am Ende eingesperrt<br />

wird.<br />

Mit ihrer Arbeit mit der Sprache und an der Sprache, durch <strong>di</strong>e bewusste<br />

Selektion und <strong>di</strong>e Collage der sozial vorgefundenen Diskurse, <strong>di</strong>e<br />

jeweils in ihrer Begrenztheit und Reproduzierbarkeit angewendet werden,<br />

bietet <strong>di</strong>eser Text von Marianne Fritz ein klares Beispiel dafür, wie Literatur<br />

eine Sinn-Struktur repräsentiert, wodurch AutorInnen und LeserInnen<br />

interagieren können, als „Textpraxis“, <strong>di</strong>e den Prozess der Sinngebung<br />

in sich selbst verwirklicht.<br />

Zu <strong>di</strong>esem Punkt will ich Lena Lindhoffs Erklärung zitieren, was den<br />

Unterschied zwischen Lacan und Julia Kristeva in Bezug auf <strong>di</strong>ese Bezeichnung<br />

der „Textpraxis“ betrifft, <strong>di</strong>e nach Kristeva eine von vier Typen<br />

gegenwärtiger gesellschaftlicher Sprachpraxis ist: ›Erzählung‹ (<strong>di</strong>e tra<strong>di</strong>tionelle<br />

Literatur), ›Metasprache‹ (der Diskurs der Wissenschaft), ›Kontemplation‹<br />

(der Diskurs der Philosophie) und ›Textpraxis‹. Hierzu erklärt<br />

Lindhoff:<br />

»Auch hier folgt Kristeva Lacan, den sie in eine eigene Terminologie<br />

überträgt. [...] Der Unterschied zu Lacan liegt vor allem in der vierten<br />

Praxis, <strong>di</strong>e bei Kristeva wie bei Lacan als befreiender, überschreitender<br />

Diskurs konzipiert ist. [...] Bei Lacan ist der subjektlose Diskurs<br />

der Hysterie der einzige weibliche Diskurs; indem er zeigt, daß alle<br />

gesellschaftlichen Diskurse, in denen ein Subjekt (sich) spricht,<br />

männliche Diskurse sind, macht Lacan <strong>di</strong>e Fundamente des Ausschlusses<br />

der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft sichtbar. Bei<br />

Kristeva dagegen sind <strong>di</strong>e Diskurse geschlechtsneutral.« 17<br />

Lena Lindhoff bemerkt insbesondere, dass Kristevas Eintreten für eine<br />

›Textpraxis‹, <strong>di</strong>e eine väterliche Rolle – als Logos, als Prinzip der Ordnung<br />

und der Regeln –, zugleich übernimmt und zersetzt, problematisch für <strong>di</strong>e<br />

von Frauen geschriebenen Texte erscheint, denn Kristeva weist ausdrücklich<br />

den Gedanken zurück, »daß eine spezifisch weibliche Schreibweise<br />

existiert.« 18<br />

Meines Erachtens stellt im Gegenteil <strong>di</strong>e Erzählung von Marianne Fritz<br />

eine Produktion dar, <strong>di</strong>e als weibliche Schreibweise definiert werden kann,<br />

indem sie als Textpraxis dekonstruktiv vorgeht, als Auflösung der Identität<br />

17 Lena Lindhoff (1995), S. 115.<br />

18 Lena Lindhoff (1995), S. 116.

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