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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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242 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />

Die Leserin hat quasi den Eindruck <strong>di</strong>e Stimme der ordnungsorientierten<br />

und ordnungspropagierenden Wilhelmine von Marianne Fritz wiederzuhören,<br />

wenn sie Berta erbarmungslos tadelt: «Entsetzlich! Entsetzlich».<br />

Die alte Gebhard verkörpert <strong>di</strong>eses alte Modell der Mütterlichkeit, welches<br />

auf <strong>di</strong>e „Normalität“ der Spaltung zwischen Mutter und Frau verweist<br />

infolge der Verteufelung der Frau als Sexualwesen, <strong>di</strong>e Nicht-ich-Mutter,<br />

<strong>di</strong>e über keine Urteilsfähigkeit verfügt und sich durch Selbstlosigkeit und<br />

Selbstvergessenheit auszeichnet. 101<br />

Das egoistische Benehmen Gregors ist zum Teil auf <strong>di</strong>ese Einstellung<br />

der alten Frau zurückzuführen, <strong>di</strong>e keine Worte findet, um ihn zu tadeln<br />

und ihn an seine Verantwortung zu erinnern.<br />

Da <strong>di</strong>e Kleinen dem Streit zwischen Helene und der Schwiegermutter<br />

zugehört haben, ist Helene gezwungen, <strong>di</strong>e Bedeutung jenes Wortgefechtes<br />

zu erklären, um den Schatten der Angst auszulöschen. Sie findet dazu<br />

<strong>di</strong>e passenden Ausdrücke der Beruhigung und der Zärtlichkeit, eine<br />

„Muttersprache“ <strong>di</strong>e eine horizontale Dimension aufweist: keine Hierarchie,<br />

nur Ansich und Fürsich, und zur gleichen Zeit eine Mimik, <strong>di</strong>e Wärme<br />

ausstrahlt:<br />

»Helene ließ <strong>di</strong>e Kinder in ihrem Bett schlafen. Sie versuchte, ihnen<br />

alles zu erklären. Die Schulden wären nicht so hoch. Sie hätten genug<br />

Geld. Ihr Vater müßte nur das zahlen, was er zu zahlen hatte. […]<br />

Und niemand könnte sie ihr wegnehmen. Das sei ausgeschlossen.<br />

[…] Die Kinder schliefen dann ein.« (Verf., S. 264-265)<br />

Um dem Stress zu entfliehen, schafft Helene für sich und ihre Kleinen<br />

Situationen, <strong>di</strong>e durch Harmonie und Fröhlichkeit gekennzeichnet sind: sie<br />

„schaltet“ <strong>di</strong>e Ordnung des Alltags ab und schenkt sich und den beiden Augenblicke<br />

der Erholung. Das erinnert <strong>di</strong>e Leserin an <strong>di</strong>e Tage in Marianne<br />

Fritz’ Erzählung, wenn Berta <strong>di</strong>e Kinder den Pranken des Lebens entzieht<br />

und wieder Kontakt zu ihnen findet. Aber Helene ist eine psychisch stabile<br />

Frau, sie weiß, dass <strong>di</strong>e Momente Inseln der Ruhe darstellen, Ausnahmen,<br />

<strong>di</strong>e es aber einem/einer ermöglichen, <strong>di</strong>e Probleme von einer anderen Perspektive<br />

aus zu analysieren und nach Lösungen zu suchen.<br />

»Im Strandbad Alte Donau gingen Helene und <strong>di</strong>e Kinder in <strong>di</strong>e<br />

Ecke links. [...] Die Kinder liefen dann ans Wasser. [...] Unter den<br />

hohen Bäumen war immer Schatten. Einen Augenblick war alles<br />

101 Vgl. dazu Christina von Braun, Nicht ich: Logik, Lüge, Libido (1994) und den Abschnitt<br />

„Geist- und ich-lose Mütter“, S. 216 ff.

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