Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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106 Das Leben in den Worten ~ <strong>di</strong>e Worte im Leben<br />
ratur durch das Paar gemeinsam erlebt wird – entweder beiden schon<br />
bekannt, oder gemeinsam erworben, oder vom einen Partner dem<br />
andern vermittelt.« 99<br />
Sprachlicher Herkunft sind zweifellos auch viele Störungen, denen Beziehungen<br />
ausgesetzt sind, und sprachlichen Charakter sollten Lösungen<br />
haben, <strong>di</strong>e zur Wiederherstellung der verstörten Verhältnisse führen, denn<br />
Streicheln mit Worten, betont Leisi, kann viel wirksamer sein als Streicheln<br />
mit Händen. 100<br />
2.5.2. Rilkes Lieblingsge<strong>di</strong>cht – Das Lieben nach Texten<br />
Strategien der Liebe und Strategien der Mitteilung muss Gudrun, <strong>di</strong>e<br />
weibliche Figur des ersten Textes, Rilkes Lieblingsge<strong>di</strong>cht, entwickeln, um<br />
ihre Liebe zu einem verheirateten Mann zu verlängern und das Gefühl leben<strong>di</strong>g<br />
zu halten. Der Titel bezieht sich auf ein Ge<strong>di</strong>cht der russischen<br />
Dichterin Marina Zwetajewa, das vom Liebhaber Gudruns gerne zitiert<br />
wird:<br />
» ›[...] Du sollst leicht an mich denken / Und sollst mich leicht vergessen. – Das<br />
ist wunderbar ‹, sagte er.« (U.F., S. 13)<br />
Aber Gudrun denkt und formuliert <strong>di</strong>ese Verse anders:<br />
»Du sollst mich nicht leicht vergessen, dachte sie. Sie fühlte sich von<br />
solchen verführerischen Blasphemien der Liebe bedroht.« (U.F., S.<br />
13)<br />
Das einzige Wort, <strong>di</strong>e Negation „nicht“ bedeutet „eine ganze Welt“,<br />
hier drückt sich das Beharren Gudruns auf einer intensiven Beziehung aus,<br />
<strong>di</strong>e sich aber immer mehr als provisorisch und flüchtig erweist.<br />
Das Zitat aus dem Ge<strong>di</strong>cht wird zur Chiffre, welche <strong>di</strong>e Liebe zwischen<br />
den zwei Hauptpersonen symbolisiert und ver<strong>di</strong>chtet sowie auf ihre starke<br />
Bezogenheit hinweist. 101<br />
Die textuelle Struktur setzt ein zirkulares Verhältnis in Gang: fiktionales<br />
Leben (<strong>di</strong>e erzählte Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren) →<br />
Literatur (das zitierte Ge<strong>di</strong>cht) → (erzähltes) Leben, das gerade infolge der<br />
Fiktionalisierung zur Literatur wird. 102<br />
99 Ernst Leisi (1993), S. 99.<br />
100 Vgl. Ernst Leisi (1993), S. 65.<br />
101 Vgl. dazu Ernst Leisi (1993), S. 99.<br />
102 Vgl. zu der Komplexität <strong>di</strong>eses kausalen Verhältnisses E. Leisi (1993), der in Bezug