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Studia austriaca - Università degli Studi di Milano

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Evelyn Schlag: Die Sehnsucht nach dem Gespräch 105<br />

Texten geht es mir auch um <strong>di</strong>e Verführung der Sprache. Ich will <strong>di</strong>e<br />

Sprache dorthin locken, wo sie solche Vorgänge, Zustände, Stimmungen<br />

beschreiben kann.« 96<br />

Zur Analyse <strong>di</strong>eser Erzählungen ist es daher wichtig zu wiederholen,<br />

welche entscheidende Rolle <strong>di</strong>e Sprache innerhalb der intersubjektiven<br />

Beziehung, und hier insbesondere innerhalb der Paarbeziehung spielt. Das<br />

Thema ist in einem inter<strong>di</strong>sziplinären Rahmen – anhand der wissenschaftlichen<br />

Ergebnisse der Soziolinguistik, der Kommunikationsforschung, der<br />

angewandten Psychologie – von Ernst Leisi in seinem Buch Paar und Sprache.<br />

Linguistische Aspekte der Zweierbeziehung untersucht worden. Ansatzweise<br />

bemerkt Ernst Leisi:<br />

»Ein dauernd schweigendes Paar ist bei normal Sprachbegabten nicht<br />

denkbar. Die Beziehung wird weitgehend durch Sprache angebahnt;<br />

an ihrem weiteren Verlauf ist <strong>di</strong>e Sprache stets beteiligt. Ob <strong>di</strong>e Beziehung<br />

fortdauert oder zusammenbricht, kann von sprachlichen<br />

Dingen abhängen.« 97<br />

Besonders interessant gerade in Bezug auf den Band Unsichtbare Frauen<br />

erscheint Leisis Bemerkung, dass das Lieben (in Gefühlen und Handlungen)<br />

nur zum Teil ein Naturvorgang ist und auch nur teilweise etwas völlig<br />

In<strong>di</strong>viduelles: oft drückt es sich auch auf einer anderen, kollektiven, intellektuellen<br />

Ebene aus, indem man/frau sich bewusst an bereits vorhandene<br />

sprachliche Muster anlehnt. Dabei handelt es sich nämlich – Leisis Definition<br />

nach – um ein Lieben nach Texten. 98<br />

Geschriebene Texte können in zweierlei Weise wichtig werden: im engeren<br />

Sinne bietet <strong>di</strong>e Weltliteratur potentielle Muster (Gefühls-, Handlungs-<br />

und Beziehungsmuster), an <strong>di</strong>e sich Liebende halten, wie es in Rilkes<br />

Lieblingsge<strong>di</strong>cht geschieht, wenn <strong>di</strong>e beiden über ähnliche kulturelle<br />

Kenntnisse verfügen. Aber <strong>di</strong>e Literatur, erinnert Leisi, enthält auch so<br />

genannte „Chiffern“, sprachliche Formulierungen (Worte, Sätze oder<br />

ganze Passagen), aus literarischen Texten stammend, auf welche <strong>di</strong>e Partner<br />

zur Bereicherung ihres Privatcodes, ihrer privaten Sprache, zurückgreifen<br />

können, indem sie ihnen besondere Bedeutung beimessen:<br />

»Voraussetzung für <strong>di</strong>e Bildung einer Chiffer ist, daß ein Stück Lite-<br />

96 So Evelyn Schlag. In: Christina Pumplun, „Gespräch mit Evelyn Schlag“, S. 171.<br />

97 Ernst Leisi, Paar und Sprache. Linguistische Aspekte der Zweierbeziehung, 4., durchgesehene<br />

Auflage, Heidelberg, Wiesbaden: Quelle und Meyer, 1993, S. 7.<br />

98 Vgl. Ernst Leisi (1993), S. 9.

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