Studia austriaca - Università degli Studi di Milano
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Marianne Fritz: Der verdächtige Glanz der „glatten“ Sätze 139<br />
Als musterhaftes Beispiel für <strong>di</strong>e Semiotisierung der Welt auf der Suche<br />
nach einem anderen Zugang zur Realität und zur Entlarvung logozentrischer<br />
Verhaltens-, Denk- und Sprechmuster ist <strong>di</strong>e Geschichte der Medea<br />
in Donaublau zu bewerten. Die revolutionäre Funktion der Sprache, <strong>di</strong>e<br />
scheinbar unbeholfen erscheint, doch <strong>di</strong>e intersubjektiven Beziehungen aufgrund<br />
der sprachlichen Basis analysiert, ist typisch für <strong>di</strong>ese Art Literatur,<br />
<strong>di</strong>e auf der Suche nach dem Anderen ist, gerade in dem Sinn, den Julia Kristeva<br />
signalisiert hat: sie gebe dem Triebhaften – dem Phantastischen, dem<br />
Lustvollen, Geheimen, Unbewussten und Unheimlichen – eine Sprache.<br />
So möchte ich betonen, dass <strong>di</strong>e Erzählung von Marianne Fritz einen<br />
avantgar<strong>di</strong>stischen Charakter aufweist in <strong>di</strong>eser Perspektive: Avantgardetexte<br />
sind keine tra<strong>di</strong>tionellen Erzählungen, sondern formale Experimente,<br />
welche eine Textpraxis darstellen, <strong>di</strong>e einer grundlegenden Reflexion über<br />
<strong>di</strong>e Sprache entspringt. 15 Als solche Textpraxis thematisiert das Werk von<br />
Marianne Fritz nicht einfach und nicht nur Inhalte – <strong>di</strong>e Einsamkeit und<br />
Verwirrung einer Hausfrau, <strong>di</strong>e viele traumatische Erlebnisse hinter sich<br />
hat und nicht mehr in der Lage ist, das Leben zu meistern –, sondern vor<br />
allem »[...] den sprachlichen Sinngebungsprozeß, der <strong>di</strong>ese Inhalte hervorbringt.«<br />
16 Und sprachlich wird das Thema skizziert und verklärt: Die<br />
Schrift reproduziert ironisch <strong>di</strong>e sprachlichen Mechanismen der Tragö<strong>di</strong>e,<br />
da <strong>di</strong>e Wörter Inhalte ausdrücken, Signifikanten Signifikate haben, aber in<br />
der Wirklichkeit kann es auch passieren, dass Wörter etwas erzeugen, <strong>di</strong>e<br />
Verbindung ist bi<strong>di</strong>rektional, und <strong>di</strong>ese vielfältige Bewegung ist meisterhaft<br />
von Marianne Fritz illustriert. Es sind <strong>di</strong>e Vorwürfe der Freun<strong>di</strong>n, <strong>di</strong>e lee-<br />
sich als Machtsprache hergibt, trägt sie <strong>di</strong>e Spuren davon. Sprachkritik und poetisches<br />
Experiment bringen <strong>di</strong>ese Einstellungen zum Vorschein.« Ebenda.<br />
15 Lena Lindhoff, Einführung in <strong>di</strong>e feministische Literaturtheorie (1995), S. 114. – In ihrem<br />
Artikel über Marianne Fritz im KLG haben Wendelin Schmidt-Dengler und Barbara<br />
Priesching 1993 betont, dass in Fritz’ Prosa Elemente auftauchen wie »[...] der spezifische<br />
Umgang mit Sprache, der Utopieentwurf und <strong>di</strong>e zunehmende Komplexität der Erzähltechniken<br />
im Fortgang des Werkes, <strong>di</strong>e wiederum <strong>di</strong>e generelle Differenz zwischen Literatur<br />
und Gesellschaft widerspiegeln.« – In Bezug auf <strong>di</strong>e Position von Michel Foucault<br />
(Wahnsinn und Gesellschaft) – der in der Debatte mit Jacques Derrida klar machte, dass in<br />
der Organisation des Materials und im Perspektivenwechsel <strong>di</strong>e Archäologie des Schweigens<br />
manifest wird –, weisen <strong>di</strong>e Autoren auf <strong>di</strong>eses Prinzip in Marianne Fritz’ Prosa hin: »[...]<br />
Auch ihren Texten ist das Prinzip der Gestaltung und Neuordnung von Wirklichkeit<br />
durch Sprache eingeschrieben.« – Darin liegt <strong>di</strong>e ästhetische Qualität ihrer Texte: »Die<br />
Differenz zur Historiographie und folglich <strong>di</strong>e ästhetische Qualität einer solchen Literatur<br />
ist im Aushalten <strong>di</strong>eser Aporie anzusiedeln.« S. 3.<br />
16 Lena Lindhoff, Einführung in <strong>di</strong>e feministische Literaturtheorie (1995), S. 114.